Geil auf Gepritsche

VOLLEYBALL Die deutsche Auswahl verliert zwar im Finale mit 1:3 gegen Russland, trotzdem gerät diese Europameisterschaft am Ende zum Party- und Medienereignis. Mission erfüllt, sagen die Spielerinnen

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Als die Tränen getrocknet waren, tanzten sie. Die Russinnen hatten damit angefangen. Zu Kalinka hoben sie ihre staksigen Beine im Rhythmus des Gassenhauers. Das deutsche Team stimmte ein. Der Unterschied war nur, dass um den Hals der Russinnen eine Goldmedaille baumelte. Die Plaketten der Deutschen schimmerten nur silbern. Aber die Spielerinnen wurden von den fast 9.000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle so stürmisch und ausdauernd gefeiert, als hätte das Team von Trainer Giovanni Guidetti, 40, den EM-Titel geholt – und nicht die sprunggewaltigen Athletinnen von Dynamo Moskau, Dynamo Krasnodar oder Uralochka Jekaterinenburg.

So viel ist sicher: Deutschland hat in den Tagen dieser Europameisterschaft seine Liebe zum Volleyball entdeckt und wieder einmal bewiesen, dass die Sportfans hierzulande so ziemlich jedes Championat zum Partyevent machen, wenn der Hallen-Animateur und das deutsche Team gute Arbeit leisten. So war es nur logisch, dass nach dem mit 1:3 Sätzen verlorenen Finale kaum einer die Halle verließ und sich auch die etwas längliche Siegerehrung ansah. Noch immer machten die Fans einen Höllenlärm auf den Rängen, so laut, dass es noch Stunden später in den Ohren rauschte.

133.000 Zuschauer haben die Hallen während dieser Europameisterschaft in der Schweiz mit dem Spielort Zürich und Deutschland besucht. Die TV-Quoten stiegen von Spiel zu Spiel an. Sahen auf Sport1 im Schnitt etwa 100.000 Zuschauer das Vorrundenspiel der Deutschen gegen die Türkei, so waren es beim Halbfinalspiel gegen Belgien 500.000 und zum Finale am Samstag dann in der Spitze sogar 920.000, was einem Marktanteil von 3,7 Prozent entspricht. Kein schlechter Wert für einen Spartensender, der sein Programm auch gerne mal mit „Sexy Webcam Girls“ füllt. „Ein gutes Signal an den Markt“, findet das Volleyball-Präsident Thomas Krohne.

„Ich bin so stolz, dass wir überall in den Medien waren und dass alle gesehen haben, wie sympathisch wir sind“, sagte Corina Ssuschke-Voigt, deren etwas ungewöhnlicher Nachname aus dem Sorbischen stammt. „Sogar ZDF und ARD sind aufgetaucht.“ Und Sport1 habe das Team ständig mit einer Kamera begleitet, „sogar im Bus“, was die Mittelblockerin, die zuletzt für Lokomotive Baku aufs Feld ging, offenbar gut fand. Endlich interessiert sich mal jemand so richtig für die Volleyballerinnen, dabei waren sie auch in der Vergangenheit ziemlich erfolgreich. Vor zwei Jahren haben sie auch schon EM-Silber gewonnen und im Juli dieses Jahres erstmals die Europaliga mit einem 3:2 gegen Belgien, das bei dieser EM Dritter wurde. „Ich bin so stolz, dass wir das geschafft haben“, sagte Ssuschke-Voigt, „ich hoffe, der Verband macht jetzt was draus und im nächsten Jahr geht es bei der WM wieder von vorne los.“

Gegen die Russinnen hätten sie eh keine Chance gehabt, denn „die Nummer 15 von denen kann sogar über den höchsten Block drüberschlagen“, überschätzte Ssuschke-Voigt die Fähigkeiten von Tatjana Koschelewa etwas. Aber was die MVP des Turniers, also die wertvollste Spielerin, und ihre Teamkameradin Natalja Obmochajewa, die mit modelhafter Coolness agierte, am Netz anstellten, das war schon famos. Nur im zweiten Satz hatte die DVV-Auswahl die Russinnen mit ihrer totalen Verteidigungsbereitschaft mal kurz entnervt. Lenka Dürr, Maren Brinker oder Heike Beier kratzten die wildesten Bälle vom Parkettboden. Da konnte auch der russische Coach Juri Maritschew nur noch staunen. Trotzdem war Giovanni Guidetti, Trainer der Deutschen, nicht ganz zufrieden. Er hätte auch dieses Spiel gern gewonnen. In einem Slang, der immer ein bisschen an Giovanni Trapattoni („Was erlaube Struuunz“) erinnert, sagte er: „Mein Kopf gratuliere Spielerinne, meine Herz isse aber traurig. Mirakel passiere nich oft.“

Um „echt locker zu sein“, hätte man die übermächtigen Russinnen schlagen müssen, bekannte Guidetti, der nicht nur für den Erfolg des Teams verantwortlich ist, sondern auch für die gesteigerte Aufmerksamkeit der Medien. Der Italiener, derzeit in Istanbul angestellt, ist ein Typ, wie ihn die Deutschen mögen: ein Volleyball-Nerd, der mit seinem Klemmbrett am Spielfeldrand herumtigert, aber auch ein kleiner Charmebolzen, der lustige Geschichten zum Besten gibt. Zum Beispiel die, dass er am 20. September in Istanbul eine Spielerin seines Klubs, die Türkin Bahar Toksoy (25), heiraten wird. Er hat sie gefragt, ob sie am Hochzeitstag nicht noch ein bisschen trainieren wolle. Nein, um Himmels willen, sie wolle nicht. Aber er, Gemahl Guidetti, zieht das Training am Vormittag trotzdem durch. Und nach dem Fest geht es gleich weiter mit dem Gepritsche. Flitterwochen? Gibt’s nicht. Wäre ja auch noch schöner. Er lebt halt für den Volleyballsport. Frau Guidetti wird viel Verständnis aufbringen müssen.