Syriens Opposition ist frustriert

REAKTIONEN Für die Gegner von Assad ist das C-Waffen-Abkommen ein Rückschlag. Eine Interimsregierung soll dem jetzt entgegensteuern

AUS ISTANBUL INGA ROGG

Nichts anderes als eine „Lizenz zum Töten“ ist das russisch-amerikanische Abkommen über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen aus Sicht der Gegner des Regimes von Baschar al-Assad. „Das Regime hat ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen und wird dafür nicht zur Rechenschaft gezogen“, sagte Rebellenkommandant Selim Idriss auf einem Treffen der Nationalen Koalition (NK) in Istanbul.

Grundsätzlich begrüßt die NK, das größte Oppositionsbündnis, das Abkommen zwar, forderte am Sonntag jedoch eine Ausweitung. Die NK verlangt, dass der Einsatz von Raketen und der Luftwaffe in Städten ebenfalls verboten wird. Die Welt dürfe nicht zulassen, dass Assad die russische Initiative und den Beitritt zum Chemiewaffen-Abkommen nutze, um das tägliche Morden ungestraft fortzusetzen.

Ähnlich äußerte sich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. Die Vereinbarung bringe Syrien einer Lösung des Blutvergießens nicht näher, sagte Davutoglu nach einem Telefonat mit US-Außenminister John Kerry. Sie halte das Assad-Regime auch nicht vom Einsatz von konventionellen Waffen ab. Die gleiche Befürchtung habe sein saudischer Amtskollege Saud al-Faisal geäußert. Zugleich warnte Davutoglu davor, dass Assad auf Zeit spielen könnte.

Mehr als zwei Jahre lang hatten die Regimegegner und die Türkei darauf gehofft, dass der Westen angesichts der Verbrechen des Assad-Regimes seine Zurückhaltung ablegt. Als Assad mit dem Giftgasangriff auch noch Obamas „rote Linie“ überschritt, glaubte die Opposition, ein Angriff sei zum Greifen nah. Stattdessen gibt sich Assad jetzt als williger Kooperationspartner. Sein Ministerpräsident Wael Halki erklärte am Samstag, jede internationale Initiative sei willkommen, insbesondere die Bemühungen um eine weitere Friedenskonferenz. Sollte die NK bei ihrer Boykotthaltung bleiben, stünde sie als „böser Bube“ da.

Angesichts der jüngsten diplomatischen Wende hat die NK immerhin ein Hindernis auf dem Weg zu ihrer Anerkennung als Vertreterin der Syrer beseitigt. Die Generalversammlung bestimmte am Wochenende endlich einen neuen Interimsregierungschef. Mit deutlicher Mehrheit wählte sie Ahmed Tome zum „Ministerpräsidenten“. Der 48-jährige Zahnarzt aus Deir al-Zor in Südostsyrien gilt als moderater Islamist. Er hatte sowohl die Unterstützung der sogenannten säkularen Fraktion, die von Saudi-Arabien unterstützt wird, wie die der Muslimbrüder, hinter den Katar steht. Tome hatte 2005 die Damaszener Erklärung unterzeichnet, die für politische Reformen eintrat, und saß zweieinhalb Jahre lang im Gefängnis. Kurz vor dem Beginn der Revolte im Frühjahr 2011 wurde er erneut verhaftet. Nach seiner Wahl kündigte Tome die Bildung einer Interimsregierung an, die das Assad-Regime ablösen soll. Nicht zuletzt am Streit zwischen den Saudis und Kataris war sein Vorgänger genau daran gescheitert.