Wenig Wärme beim Treffen

Beim Energiegipfel wurde viel über noch mehr Stromerzeugung in Deutschland geredet, jedoch wenig über Wärmeproduktion und sparsame Energietechnologien

AUS BERLIN NICK REIMER

Dieses Thema hat sich der Energiegipfel im Wesentlichen gespart: Energiesparen. Statt die sinnvollste aller wirtschafts-, umwelt- oder klimapolitischen Strategien zu mehr Versorgungssicherheit in den Vordergrund zu stellen, ging es milliardenfach um Euros. Um Investitionen in neue Kohlekraft- und Windkraftwerke. Kanzlerin Angela Merkel hatte Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am späten Montagabend ins Kanzleramt geladen, um Deutschlands Energiezukunft zu sondieren. Nach vier Stunden verkündete Merkel das Ergebnis: 87 Milliarden Euro. So viel soll in den nächsten sechs Jahren in die deutsche Stromversorgung investiert werden.

Deutschland steht – das ist die erste Nachricht dieses Gipfels – ganz augenscheinlich vor einem grünen Stromboom: Mit insgesamt 40 Milliarden Euro will die Branche der erneuerbaren Energien erstmals in einem Investitionszeitraum mehr Kapazität schaffen als die fossile Branche. „Der Gipfel hat klar gemacht: Der Wegfall atomarer und fossiler Energien kann vollständig durch den Ausbau erneuerbarer Energien ersetzt werden“, so Frank Asbeck, Chef von Solarworld.

Das werden die Chefs von RWE, Eon und Co. nicht so gern gehört haben: Sie nämlich müssen in den nächsten sechs Jahren allein 13 Milliarden Euro in jene Stromnetze investieren, die für den Ausbau der regenerativen Energien benötigt werden. 850 Kilometer Spannungsleitungen müssen gebaut werden, 60 bis 80 davon als Erdkabel – um die Offshore-Kraftwerke anzubinden. Auch die kommunalen Unternehmen planen 10 Milliarden für den Netzausbau – fünf Milliarden davon für Wärmenetze.

Atomkraftwerke? Natürlich brachten die vier Atomkonzerne die Laufzeitverlängerungen ihrer abgeschriebenen Gelddruckmaschinen ins Gespräch. Und natürlich verwies die Kanzlerin „auf unterschiedliche Positionen, die es auch in den Parteien gibt“. Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD) erinnerte die Konzerne aber daran, dass es doch sie waren, die einst den Atomausstiegsvertrag der Vorgängerregierung unterzeichnet hätten. „Wollen Sie mit uns auf dieser Grundlage über die Zukunft reden?“, fragte Gabriel in die Runde. Antwort der Atomstromer: Natürlich halte man sich an die einst gegebene Unterschrift. Zumindest so lange, bis sich politische Rahmenbedingungen änderten.

Aktuell ist das bei diesem Thema nicht der Fall: Die Kanzlerin verwies auf den Koalitionsvertrag, der den Atomausstieg bis 2020 festschreibt. Selbst Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), im Vor-Gipfel-Wahlkampf noch eifrigster Atom-Strom-Werbetrommel-Rührer, sagte zu diesem Thema nichts.

„Der Gipfel war ein guter Start“, urteilte gestern Bundesumweltminister Siegmar Gabriel. „Wir haben sehr viel über Strom, aber noch zu wenig über Wärme und Effizienz geredet.“ Professor Joachim Treusch, Vorstandsvorsitzender des Kernforschungszentrums Jülich, mutmaßt, dass das „ganz stark mit der Zusammensetzung des Forums zusammenhing“.

Kraftwerksbetreiber würden nun einmal lieber über Stromproduktion reden und nicht gern über Stromsparen.

„Effizienz spielte nur auf der Kraftwerksseite wirklich eine Rolle“, urteilt Prof. Edda Müller, die als Bundeschefin der Verbraucherschützer die Stromkunden am Kanzlerintisch vertrat. Auch sie sieht die „Industrie, die an Effizienztechnologien interessiert ist, bei den Gesprächen deutlich unterrepräsentiert“. Dabei muss aus Verbrauchersicht hauptsächlich über Effizienz geredet werden, so Müller:

„Die Stromproduzenten stellen uns sinkende Preise in Aussicht: Durch die Investitionen werde sich das Angebot erhöhen. Aber das ist Augenwischerei. Gleichzeitig nämlich wollen sie die Netzentgelte erhöhen – um die Investitionen zu finanzieren.“ Deshalb müsse die Bundesregierung „ganz konkrete Instrumente schaffen“. Ein Recht auf Mietminderung bei schlechter, unsachgemäßer Wärmedämmung beispielsweise oder aber den Gebäude-Energiepass, der ursprünglich Anfang des Jahres eingeführt werden sollte.

Das droht uns nun aller paar Monate: Drei Arbeitsgruppen wurden eingerichtet, die Energieversorgung unter dem Aspekt „nationale Versorgungssicherheit“, „internationale Politik“, „Forschung und Effizienz“. Umweltminister Gabriel: „Dort soll das Thema Effizienz dann stärker im Zentrum stehen.“ Bereits im September trifft sich der nächste Energiegipfel. Nach weiteren Zwischenschritten soll dann bis Mitte 2007 ein so genanntes nationales Energiekonzept erarbeitet werden – das bis 2020 gelten.

Das ist etwas anderes als die Mühen der Ebene. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD), der nicht zum Gipfel geladen war, meldete sich gestern trotzdem zu Wort. Der Gebäude-Energiepass, jetzt für Jahresmitte avisiert, werde „in diesem Jahr noch auf den Weg gebracht“. Klartext: Er kommt frühestens 2007.