wohin heute?
: Keine Erlösung, nirgends

Eigentlich wechselt man ununterbrochen hin und her: zwischen Täter- und Opferrolle, Akteurs- und Zuschauerperspektive. Geht man aber ins Theater, dann greift dies plötzlich nicht mehr: Brav in Schauspieler und Publikum eingeteilt ist nun die Meute; stillsitzen müssen die einen, deklamieren die anderen. Wie lässt sie sich auflösen, diese Grenze, die sich nicht nur durch Orchestergraben und Vorhang manifestiert?

„Wir wissen auch nicht, ob man diesen Spalt schließen kann“, sagt Anne Rudelbach, die gemeinsam mit Antoine Effroy „Stand By“ präsentiert, eine Schwanensee-Adaption der besonderen Art. Die Figur der in einen Schwan verwandelten Prinzessin Odette haben sie zum Ausgangspunkt erkoren. Zwei Frauen und ein Mann verkörpern Facetten der Prinzessin, die schon deshalb interessiere, so Rudelbach, „weil jeder moderne Tänzer von diesem Stück geprägt ist“.

Ihre Performance reicht noch weiter: Die Grenze zwischen Realität und Fiktion wollen die Tänzer auflösen – was wäre desillusionierender als die nackte Bühnenrückwand-Mauer? Warum sich andererseits nicht wie im Märchen fühlen, wenn Odette bitt‘re Tränen weint? Oder weint sie nicht? Spielt die Akteurin bloß eine weinende Schauspielerin, die kaum verhohlen die Publikumsreaktion checkt?

Müßige Fragen. Was aber bleibt, ist lohnend: das asymmetrische Balancieren zwischen den Ebenen, so lange, bis die perfekte Osmose erreicht ist. Das kann dauern. Vielleicht geschieht es nie. PS

heute, 20 Uhr, Kampnagel