Eine großartige und furchtbare Beziehung

Rabea Edel ist 23 und kann nicht aufhören zu schreiben. Sollte sie auch nicht, das beweist ihr Debütroman: Endlich mal keine Befindlichkeitsliteratur

Die Romandebütantin Rabea Edel weiß, was sie will: „Klassische Konstellationen interessieren mich nicht. Ich wollte eine grausame, eine radikale Geschichte erzählen.“ Nicht leicht, das einzulösen. Aber in „Das Wasser, in dem wir schlafen“ erzählt die 23-Jährige tatsächlich eine großartige und furchtbare Geschichte. In Hannover und Lübeck wird sie ihren Roman jetzt vorstellen, in dessen Zentrum eine verstörende Schwesternbeziehung steht.

„Lina und ich sind ungerade, wir sind nicht teilbar“ – um keinen Preis: Dies ist das Verhängnis der namenlosen Ich-Erzählerin und ihrer jüngeren Schwester. Weil sie Verlassene sind, müssen sie einander alles sein: Wie die Mutter sich nach der Geburt Linas verändert, tagelang schweigend am Fenster steht, sich dem Vater entzieht und den Töchtern; wie es ist, als sie dann schließlich fortgeht – das erzählt Rabea Edel in einer klaren, eindringlichen Sprache.

Auf die Sprache komme es ihr sehr an, erzählt sie. Schon immer; seit sie als 12-Jährige die ersten Geschichten schrieb – und dass sie schreibt, sei nie eine Frage gewesen: „Ich habe es einfach getan. Und auch heute könnte ich gar nicht aufhören, das ginge einfach nicht. Ich fühle mich schon unwohl, wenn ich zwei, drei Tage nicht schreibe.“ Am Debüt hat sie drei Jahre gearbeitet, dafür das Studium der Italianistik und Literaturwissenschaft hintangestellt. Schreiben, Studieren – für beides ist Cuxhaven kein guter Ort, also hat sie ihren Heimatort Richtung Berlin verlassen. Dort hat sie auch den Literaturwettbewerb „Open-Mike 2004“ gewonnen. Das war der Türöffner zu den Verlagen.

Man möchte nicht altmütterlich klingen – und dennoch: Es ist verblüffend, dass eine mit Anfang 20 eine so intensive Geschichte zu erzählen vermag. Keine Spur von der Befindlichkeitsliteratur der zahlreichen Mittdreißigerinnen. Stattdessen starke Figuren, ein eigener poetischer Ton, der den Schrecken nicht aufhebt. Und viel Einfühlungsvermögen: In das Verstummen der Mutter in einer sich entleerenden Ehe. In die blasse Tatenlosigkeit des Vaters. Und in die Schwestern, die sich in eine zerstörerische Symbiose begeben; die sich lieben müssen und sich bis zur Unerträglichkeit auf den Leib rücken. Eine gewaltsame Intimität, in der die Nähe immer öfter mit Schmerz, mit maßlosen Grenzüberschreitungen einhergeht. Als ein Dritter ins Spiel kommt, Gregor, beschleunigt das die unausweichliche Dynamik, die mit Linas Tod endet.

„Das sind wohl meine Themen: Familie und das Wechselspiel von Glück, Schmerz, Nähe. Der Familie entkommt man nie. Und dabei suche ich eben nach den extremen Situationen. Autobiographisches zu erzählen, reizt mich überhaupt nicht“, sagt Rabea Edel und fügt hinzu, dass manche enttäuscht seien, wenn sie erzähle, dass es ihr gut gehe.

Das Buch hat ihr Selbstverständnis beeinflusst: „Schreiben ist das, was ich mache. Ich bin jetzt mehr Schriftstellerin als Studentin.“ In ihrem Falle ist das eine ausgesprochen gute Nachricht. Das zweite Buch ist bereits in Arbeit. CAROLA EBELING

Rabea Edel: „Das Wasser, in dem wir schlafen“, München 2006, 159 S.Lesungen: Hannover: Do, 6.4., 19.30 Uhr, Künstlerhaus, Sophienstr. 2; Lübeck: Do, 20.4., 20 Uhr, Buddenbrookhaus, Mengstr. 4