GANZ PANKOW VOLLER ROCKABILLYS, MARTIN WUTTKE AM FLUGHAFEN, POLLESCH IN DER VOLKSBÜHNE
: Ich möchte ein Verhältnis zu dir aufbauen, deshalb rauche ich

VON LEA STREISAND

Zu viel Wochenende für einen Text, deshalb nur Stichpunkte. Freitag Einweihung der neuen Kneipe Eiche auf der Wollankstraße. Ganz Pankow voller Rockabillys. Auf dem Frauenklo ändert das Licht die Farbe. Wenn man betrunken ist, kann man stundenlang in den Spiegel gucken. Gelbgrünes Licht steht mir gut.

Samstag Auftritt bei der „Langen Nacht der Bilder“ in Friedrichshain. Im Bänsch ein japanisches Pärchen in Kimonos auf der Bühne. Mann mit komischen Holzschuhen an den Füßen und Säugling auf dem Rücken, der schreit, als sie aufhören. Danach ich. Später mit Tim nach Wedding zur Eröffnungsfeier vom neuen Wedding-Magazin im Ex-Rotaprint. Auf dem Weg zum S-Bahnhof Frankfurter lauter brutal aussehende Männer. „Versseihung, der is ein Hooligan!“, lallt einer. Vor uns breitbeinig ein Junge. Einen Meter groß, zwei Jahre alt. Höchstens. Schiebermütze, weißes Unterhemd, aufgekrempelte Jeans. Er grinst und zielt auf uns mit einer Spielzeugpistole. Sein rechter Arm sieht aus wie volltätowiert.

Die Wedding-Party ist fast vorbei, das Heft wunderschön. Thema „Geld“ diesmal. Ich durfte auch mitmachen. Gegen Bezahlung. Ab Montag ist das Magazin im Handel. Schlappe 6,99 Euro für über hundert Seiten grandioses Design, Hammer-Fotos, tolle Texte. Darüber, wie man aus zwei Gabeln und einer Gasflamme einen prima Toaster bastelt; wie das mit den Geldgeschenken auf türkischen Hochzeiten geregelt ist; sowie Hochglanzfotos von der Millionärsmesse in München. Kaufen, Leute!

Sonntag: Ruhe im Karton tagsüber. Abends Volksbühne. Pollesch. Hach! Das Programmheft ist ein fast leeres Oktavheft zum Notizenmachen. Plus Bleistift. Leider ohne Anspitzer. Muss man doch den Kuli zücken. Glitzerbühne. Spiegelboden. Ich will ein Wohnzimmer von Bert Neumann! Lamettagardinen, so was Schönes! Wenn sie wackeln, sieht es aus wie früher, wenn die Fernsehantenne kaputt war. Sie spielen „Glanz und Elend der Kurtisanen“ nach Balzac. Inklusive Barthes, Godard und Richard Sennett. Auf der Bühne ein Pierrot, Minichmayr als Sansculotte, Christine Groß im roten Anzug, ein Dandy, ein Neandertaler mit Überbiss. „Ich möchte ein Verhältnis zu dir aufbauen, deshalb rauche ich“, sagt der Neandertaler, „Ich tue das doch für dich!“ Huch, das is Wuttke! Birgit Minichmayr spricht den Text, der auf der Volksbühnenwebseite nachzulesen ist. Über Fiona Shaw, die mit mondäner Geste vor dem Theater aus dem Taxi steigt, sich dabei der Großartigkeit des eigenen Auftritts bewusst, sich ihrer Zuschauer bewusst, in totaler „Geberlaune“. Ich kenne Shaw, sie spielt die Tante von Harry Potter. „Niemand verlangt von ihr, auf der Bühne sie selbst zu sein“, sagt Minichmayr, „aber auf der Straße!“ Mir fällt ein, wie ich Martin Wuttke mal auf dem Wiener Flughafen gesehen habe, im Wartebereich für den Flug nach Berlin. Er sah genauso aus wie in seiner Tatortkommissarrolle: Anzug, Weste, Hemd. Ich rede mir bis heute ein, er habe mich angelächelt.

„Alle fragen immer, was die Rolle mit dir macht“, sagt Minichmayr, „statt mal zu fragen, was du mit der Rolle machst.“ Neulich ist mir am Hauptbahnhof, Gleis acht Richtung Hamburg, Andreas Hoppe über den Weg gelaufen, der Kopper aus dem Ulrike-Folkerts-Tatort. Der sah auch genauso aus wie im Fernsehen. Mütze, Weste, Cowboystiefel. „Scheiß Bekenntnismentalität“, sagt Wuttke.

Dann ist Raucherpause auf der Bühne. Wieso hält Wuttke die Kippe eigentlich immer mit kleinem und Ringfinger? „Man kann den Schriftsteller ja nicht in sich selbst finden“, sagt jemand. „Man muss doch etwas machen. Die mit der Zigarette und der Kaffeetasse in den Händen vor der Schreibmaschine sitzen, die machen wenigstens was, die stellen etwas dar, die nehmen ihren Beruf ernst, obwohl man ja so nicht schreiben kann, wenn man die Hände voll hat.“ Und ich hab mit dem Rauchen aufgehört!