Der lachende Dritte

WAHLRECHT Wenn drei starke Kandidaten um das Direktmandat kämpfen, spielt die Gefahr oder Chance von Überhangmandaten keine Rolle mehr. Beispiele aus Freiburg und Bonn

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Das neue Wahlrecht ist einfacher als das alte Wahlrecht. Es gibt zwar noch Überhangmandate, aber diese können nicht mehr das Gesamtwahlergebnis auf den Kopf stellen. Die neue Lage beeinflusst auch die strategischen Überlegungen in besonders umkämpften Wahlkreisen wie Freiburg oder Bonn.

In Freiburg haben drei Kandidaten Aussicht auf das Direktmandat: Die SPD schickt noch einmal den Exstaatssekretär und Osteuropa-Experten Gernot Erler ins Rennen. Viermal hintereinander hat er seit 1998 den Wahlkreis direkt gewonnen. Auch jetzt will der inzwischen 69-Jährige das Direktmandat holen. Es ist eine Prestigesache, denn Freiburg ist der einzige Wahlkreis in Baden-Württemberg, den die SPD 2009 gewinnen konnte, alle anderen Direktmandate fielen an die CDU. Deshalb ist Erler auch SPD-Spitzenkandidat im Land.

Grüne spielen nicht mit

Früher haben die Grünen zur Wahl Erlers aufgerufen. Doch heute passt das nicht mehr, schließlich ist Freiburg eine grüne Hochburg. Der Oberbürgermeister Dieter Salomon ist Grüner, die Grünen sind größte Fraktion im Gemeinderat, und bei der letzten Landtagswahl haben sie in der Stadt auch beide Direktmandate geholt. Das strebt nun auch Kerstin Andreae, Vize-Fraktionschefin der Bundestagsfraktion an. Auch sie ist Spitzenkandidatin ihrer Partei in Baden-Württemberg.

Lachender Dritter könnte ein politischer Nobody sein: Der CDU-Kandidat Matern von Marschall. Selbst in Freiburg war der Ortschaftsrat aus dem kleinen Nachbardorf Neuershausen bisher unbekannt. Doch wenn sich die rot-grünen Stimmen gleichmäßig auf Erler und Andreae aufsplitten, könnte von Marschall das Direktmandat holen. 2009 war die Konstellation ähnlich, der damalige CDU-Kandidat blieb nur knapp hinter Erler.

Damals konnte die SPD aber noch warnen, dass ein weiteres CDU-Direktmandat das Wahlergebnis im Bund verzerren könnte. Denn damals wurden Überhangmandate nicht ausgeglichen. Bundesweit holte die Union 24 Überhangmandate, davon 10 in Baden-Württemberg, weil sie viel mehr Wahlkreise gewann, als ihr nach den Zweitstimmen zustanden. Merkel hätte dank der Überhangmandate sogar ohne Mehrheit Kanzlerin werden können. Diese Befürchtung hat auch viele Freiburger Grün-Wähler zur Stimmabgabe für SPD-Mann Erler bewogen. Letztlich hatte Schwarz-Gelb dann aber auch ohne Überhangmandate eine sichere parlamentarische Mehrheit.

Ein Urteil änderte alles

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde inzwischen das Wahlrecht geändert. Die Überhangmandate bleiben zwar bestehen, müssen jetzt aber durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien neutralisiert werden, damit das Wahlergebnis nicht verzerrt wird. Für Freiburg heißt das: Sollte tatsächlich der CDU-Kandidat von Marschall das Direktmandat holen, wäre das für SPD und Grüne zwar ärgerlich, hätte aber keine Auswirkungen auf den Bund, denn alle anderen Parteien bekommen Ausgleichsmandate. Erler kann also nicht mehr auf taktische Grün-Wähler hoffen.

Heiß umkämpft ist auch der Wahlkreis Bonn, den zuletzt der SPD-Umweltpolitiker Ulrich Kelber gewann. Die CDU ging leer aus, weil Guido Westerwelle für die FDP beachtliche 19 Prozent der Erststimmen holte – die der Union fehlten. Hier war also die SPD lachende Dritte.

Das soll diesmal anders werden. Union und FDP haben einen Pakt geschlossen: Die CDU wirbt vor allem um Erststimmen für ihre Kandidatin Claudia Lücking-Michel vom katholischen Cusanus-Werk. Die FDP konzentriert sich auf die Zweitstimmen und wird im Gegenzug wohl auch viele Leihstimmen von CDU-Wählern bekommen. FDP-Generalsekretär Patrick Döring sieht darin ein bundesweites Modell für rund 80 umkämpfte Wahlkreise.

Für die CDU sind solche Deals aber heikel. Die CDU-BewerberIn vor Ort sichert sich so zwar ein Parlamentsmandat, doch geht das auf Kosten anderer CDU-Bewerber auf der CDU-Landesliste. Die frühere Ausrede, man schaffe ja vielleicht ein Überhangmandat und könne so der CDU bundesweit nutzen, ist mit dem neuen Wahlrecht perdu. Selbst wenn die CDU in NRW ein Überhangmandat erhielte (was freilich noch nie gelang), würde dieses bei den anderen Parteien ausgeglichen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warnt daher vor Deals nach Bonner Muster, denn jede Zweitstimme für die FDP fehlt unter dem Strich der CDU/CSU und schwächt diese in einer möglichen großen Koalition mit der SPD.

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