Vom Ruhm erholt

Glamour war früher: Urge Overkill griffen im White Trash beherzt in ihre Gitarren

Das Publikum war gerührt bis begeistert, ein wenig kam diese typisch sakrale Unplugged-Konzert-Atmosphäre auf

Urge Overkill haben einen ziemlich langen Weg hinter sich. Eigentlich dachte man sogar, sie wären ihn bereits vor Jahren zu Ende gegangen. So diente ihr überraschend im White Trash anberaumtes Akustik-Set wohl hauptsächlich der Beweisführung: Ja, wir leben noch, und es geht weiter. Nach dem Auftritt wurde dem Publikum die frohe Botschaft verkündet: Es wird bald sogar ein neues Urge-Overkill-Album geben.

Die Band, die sich schon immer hauptsächlich auf die beiden Frontmänner Nathan Katruud und Eddie Roeser konzentrierte, die sich von ihren Fans National Kato und King Roeser nennen lassen, hat alles durchgemacht, was man als amerikanische Veteranenband so durchmachen kann. Wie viele andere damals kamen Urge Overkill von ganz unten, aus den schummrigen Rockkaschemmen Chicagos Mitte der Achtziger, wurden dann aber dank eines einzigen Welthits, einer Coverversion von Neil Diamonds „Girl, You’ll Be a Woman Soon“, die Platz auf dem „Pulp Fiction“- Soundtrack fand, einen kurzen Moment lang zu Megastars. Sie landeten auf einem Major-Label, tourten zusammen mit Pearl Jam und stürzten danach böse ab. In den letzten zehn Jahren dachte kein Mensch mehr an Urge Overkill.

Wie Nirvana sind Urge Overkill am eigenen Ruhm zerbrochen. Kurt Cobain griff damals aus lauter Angst, sich selbst zu verlieren, zur Schrotflinte, Urge Overkill rutschten ungebremst in die Rockstarhölle – hinein in viel zu viele Drogen und irreale Glamourwelten. Steve Albini, der Rockproduzent in diesen Tagen schlechthin, war in weniger aufregenden Zeiten Zimmernachbar von National Kato, später zerstritt er sich mit der Band, deren ungebremste Sehnsucht nach Glamour er einfach nicht mehr aushielt, und nannte sie „verrückte, aufmerksamkeitsgeile Größenwahnsinnige“.

Dabei ist der Werdegang von Urge Overkill nur konsequent, sie machten nichts anderes, als sich mit den Jahren immer stärker ihrem eigenen Image anzunähern. Was Anfangs nur eine Illusion war, verkörperten sie irgendwann tatsächlich. In einer Zeit, in der alle zerrissene Jeans und Flanellhemden trugen, machten Urge Overkill auf Rat Pack, LA- Glamour und Pimp-Style. Sie wollten keine ehrlichen Rockarbeiter sein, sondern stellten sich in die Tradition von James Brown und klassischen Soulbands, für die gutes Aussehen selbstverständlich war. Das, was heute auch für jede smarte amerikanische Rockband selbstverständlich ist, lebten Urge Overkill schon vor zwanzig Jahren.

Heute aber nicht mehr: Ihr Auftritt im White Trash wirkte ein wenig wie ein Bekenntnis zur Demut. Schluss mit den Mätzchen. Man trug schlichte Hemden statt Glitteranzügen, und statt den fulminanten, stark Seventies-beeinflussten Powerrock alter Tage zu reproduzieren, griff man zu zweit beherzt in Wandergitarren und schluchzte noch mal die alten Hits runter. Die beiden sahen aus wie früher, die Haare trugen sie immer noch lang, nur dass sie gealtert sind, das konnte man deutlich sehen. Das Publikum war gerührt bis begeistert, und auch wenn die sterile „Hard Rock Café“-Aura des neuen White Trash nicht gerade dazu beitrug, kam doch ein wenig diese typisch sakrale Unplugged-Konzert-Atmosphäre auf. Danach gab es keine After-Show-Party, keine Posen, kein Koks, sondern man konnte sich mit der Band in Ruhe am Tresen unterhalten. ANDREAS HARTMANN