Die Menschen sind dumm

OPER Die Komische Oper eröffnet die Saison mit einer Hommage an Benjamin Britten: Viestur Kairisch hat dessen „Sommernachtstraum“ neu inszeniert

Den größten hat die Komische Oper. So ist das nun mal. Stefan Sevenich bindet sich zwar eine Art Schürze um, die ihm Ieva Juriane geschneidert hat, aber das nützt nicht viel. Der Penis, den ihm die bildende Künstlerin an sein Fellkostüm genäht hat, ist viel zu lang. Er hängt hinunter in das Traumbett, in dem Nicole Chevalier schläft.

Sie wacht auf, die Königin der Elfen, und freut sich natürlich sehr, fasst hin, bestellt passende Musik, und schon ragt er hoch hinaus aus der weißen Watte des Liebesnestes.

Viestur Kairisch und seine Bühnen- und Kostümbildnerin, die beide jung sind und aus Riga kommen, haben keine Hemmungen, den großen alten Shakespeare beim Wort zu nehmen. Die Liebe der verzauberten Titania zu dem verzauberten Handwerker Zettel ist keine Romanze. Sie ist Sex.

„Nur ein Esel könnte erzählen, was ich geträumt habe“, wird Zettel später sagen. Er war kein Esel, er war ein Mann und so stolz auf sein Geschlecht, wie es hier zu sehen ist. Und wie es hier gezeigt wird, weil es die Wahrheit ist, weitab von jeder Provokation, verpackt in das Kostüm der Komik, das ihr ohnehin am besten steht. Kairisch und Juriane können lesen und haben die Melancholie dieser Komödie aller Komödien verstanden. Ihre Elfen sind Kinder in Kleidern von Erwachsenen mit Gesichtern von Greisen. Sie leben nicht im Wald, sondern in einer Art Mutterhöhle aus Felsen und trösten sich mit Teddybären. Oberon und Titania streiten sich um ein Baby in Windeln, Liebespaare kommen vorbei und streiten sich auch. Dann kommen die Handwerker, wollen ein Theaterstück proben und schaufeln doch nur ein Grab mitten auf der Bühne.

Dorthinein müssen die Greisenkinder nun ihre Kuscheltiere werfen. Eines nach dem andern tritt traurig an die Grube und lässt seine Kindheit hineinfallen. Sie müssen erwachsen werden, so uralt sie sind, um zu verstehen, was die Sterblichen tun, die hier wie die Kinder herumtollen, weil Oberon und sein Puk sie verrückt gemacht haben.

„Sie sind so dumm“, wird eines der Elfenkinder später sagen und recht haben. Wir sind dumm, weil wir nicht sehen, was uns Shakespeares Geister sehen lassen mit ihren Drogen, die sie uns auf die Augen träufeln – auch mal ein bisschen falsch herum, aber niemand ist perfekt. Und so geht es weiter, Bild um Bild in immer tiefere Schichten dieses unendlich tiefen Textes hinein, der fröhlich und lebendig Gestalt annimmt.

Dabei durften Kairisch und Juriane gar nicht den originalen Shakespeare inszenieren, was man ihnen jederzeit zutrauen würde. Barrie Kosky hat sie in Riga entdeckt und für die Oper nach Berlin geholt, die Benjamin Britten und sein Lebenspartner Peter Pears 1960 geschrieben haben, um das neue Theatergebäude in ihrer Kleinstadt Aldeburgh zu eröffnen.

Britten würde heuer 100 Jahre alt, hinzu kommt, dass für die deutsche Erstaufführung seines „Sommernachtstraum“ Walter Felsenstein höchstpersönlich den Text auf der Grundlage der Schlegel’schen Übersetzung geschrieben hat. So war es Ehrensache für die Komische Oper, die neue Spielzeit mit einer Hommage an diese beiden Vaterfiguren der Nachkriegsoper zu eröffnen.

Britten und Pears strichen den ganzen ersten Akt des Originals und besetzten die Rolle des Oberon mit ihrem Freund Alfred Deller, dem Countertenor und Leiter des legendären „Deller Consort“. Sonst aber, um bei der historischen Wahrheit zu bleiben, um die es bei einer Hommage ja auch geht, fiel ihnen zu Shakespeare nicht viel ein. Britten schrieb brave Arien und Ensembles, akademisch akkurat begleitet von einem Kammerorchester, das mit Cembalo, Celesta und zwei Harfen auch elfisch klingeln kann, wenn es denn sein muss.

Nur klingt nichts so, als ob es unbedingt so klingen müsse. Es ist Schulmusik. Gäste, Ensemble und Orchester der Komischen Oper unter Leitung von Kristiina Poska spielen sie so fehlerlos sauber, wie sie ist. Der Kinderchor singt bewundernswert gut. David DQ Lee ist kein Deller, aber ein schöner Oberon. Jens Larsen und Peter Renz dürfen ihr Schauspieltalent ausleben, und Stefan Sevenich kann sowieso viel mehr als nur Bass. Eine echte Rampensau, so darf man hier wohl sagen, auch wenn er mal nicht den größten hat. NIKLAUS HABLÜTZEL

■ Nächste Vorstellungen: 21. und 29. September, 4., 10., 26. Oktober