Shakiras Mann am Rhein

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Der Elvis, die Shakira, der Juan Pablo. Dieter Patt spricht über Prominente wie über Nachbarn. Er kennt sie alle, ist mit ihnen auf Du und Du. Okay, mit Elvis nicht, aber mit Shakira und Montoya. Und Bill Clinton kennt er auch. Als Patt in den USA Gastprofessor war, hat er dem Ex-Präsidenten mal eine CD geschenkt. Und Clinton hat ihm eine Postkarte geschickt. Die hängt jetzt hier, in Patts kleinem Atelier im schicken Süden der Stadt Neuss. Eingerahmt. Direkt neben der Eingangstür. „Das ist die Karte vom Bill“, sagt Dieter Patt, zeigt an die Wand und lacht zufrieden.

Dieter Patt, Jahrgang 1943, ist Landrat im Rhein-Kreis Neuss und Mitglied der CDU. Einerseits. Andererseits ist Patt Künstler. Und zwar durch und durch, woraus er auch keinen Hehl macht. Kürzlich erst brachte er sich ins Gespräch, als er der kolumbianischen Hüftschwenkerin Shakira eine Skulptur zimmerte, die soeben in ihrer Heimatstadt Barranquilla aufgestellt wurde. Wie gesagt: Patt lebt sein Künstlerdasein. Dennoch legt er Wert darauf, den Künstler vom Politiker vom Familienvater Patt scharf zu trennen.

Was aber nicht immer klappt. Auch heute nicht, an diesem regnerischen Morgen. Schon Patts Äußeres ist alles andere als christdemokratisch. Keine hängende Merkel-Mimik. Kein fahler Rüttgers-Teint. Auch nicht diese glatte Merz-Attitüde. Ganz im Gegenteil. Sehen Sie nur, wie er da in seinem Korbstuhl sitzt.

Dezernent für fast alles

Das erste, das einem auffällt: die Ringe. An der rechten Hand ein großer Klunker aus Türkis. Nein, eigentlich eine Waffe, so klobig protzt der Schmuck am Finger. Angeblich soll der Kölner Kardinal Meißner mit Patt schon Ringe getauscht haben. Gütiger Gott. Darf der das überhaupt? Aber weiter. Linker Arm. Auch geschmückt. Ein ähnlicher Ring, etwas kleiner. Und eine schwere Uhr, ebenfalls mit Türkis besetzt. Dazu trägt Patt graues Haar, dunkle Nadelstreifen, gesund-braune Haut, ein dunkelblaues Hemd, Augen, die aussehen, als hätte er sie passend zu den Ringen ausgewählt, außerdem ein Michael-Douglas-Lächeln und eine rot-schwarz gestreifte Krawatte, die über seinen gewölbten Bauch baumelt.

Modepsychologisch ist der Schlips allerdings unklug gewählt. Die Streifen verlaufen von links oben nach rechts unten. Eine Verliererkrawatte, sagt man. Aber darauf wird Patt nicht geachtet haben. Es sei die Krawatte seiner Uni in New Mexico, sagt er. Wo er Gastvorträge gehalten hat. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Sieht so ein Christdemokrat aus? Und überhaupt: ein Künstler in der CDU? Diese Frage kann Patt nun gar nicht verstehen. Typisch Journalist. „Warum nicht?“, fragt Patt. Er habe noch nie ein Problem damit gehabt, in der CDU zu sein und gleichzeitig Kunst zu machen. Eins zu null für ihn. Außerdem: Wenn er, wie jedes Jahr, mit der kölschen Band De Räuber auf der Bühne steht und Gitarre spielt, dann sei er nicht der Landrat. „Dann bin ich der Dieter Patt“, sagt Patt. Politik und Kunst, findet er, lägen ohnehin nah beieinander: „Verwaltung ist in hohem Maße Kreativität“, weiß der 62-Jährige. „Und am erfolgreichsten waren immer noch die Autodidakten.“

An die CDU bindet ihn vor allem das C. Also die „christlichen Werte“, wie er sagt. Die Nächstenliebe. In der Beziehung ist Patt (40 Jahre verheiratet, Vater zweier Kinder) dann doch ganz konservativ. Angefangen hat seine Karriere in der Neusser Verwaltung. Mit 16 Jahren, nach dem Realschulabschluss, begann Patt dort seine Ausbildung, war sechs Jahre später schon im gehobenen Dienst. Stolz berichtet er heute, dass er alle Urkunden des deutschen Berufsbeamtentums habe. Was schon erahnen lässt, wie er durch die Instanzen geklettert ist. Bis er irgendwann Kreisdirektor war. Und Dezernent für – naja, für fast alles: Polizei, regionale Planung, Wirtschaftsförderung, Schule, Kultur, Sport, sogar für Öffentlichen Personennahverkehr. 1995 wurde Patt Landrat, ist also bereits das elfte Jahr im Amt. Und will nicht weg. „Ich habe keine Ambitionen, in die große Politik zu gehen“, sagt Patt. Warum auch? Es läuft gut. Die Region ist wohlhabend, weist mit das beste Wachstum in NRW auf.

In und um Neuss ist Patt auch als „Sheriff“ bekannt. Als Landrat ist er zugleich Chef der Kreispolizeibehörde. Und das lebt er aus. Immer wieder spricht er von „meiner Polizei“. Und wenn irgendwo im Kreis ein Verbrechen geschieht, übernimmt Patt das Kommando. Andererseits kennt man sein Engagement. Nein, pardon: sein „Angaschmang“. So sagt es Patt in breitem rheinischen Dialekt. Seine Kontakte zu Shakira oder zum Rennfahrer Juan Pablo Montoya, beide Kolumbianer, hängen auch mit eben diesem Engagement zusammen.

Seit Jahren schon setzt sich Patt in Kolumbien ein. Reist dort hin. Knüpft Kontakte. Ende 2004 unterzeichnete er beispielsweise ein Abkommen mit der Region Atlantico in Kolumbien, das eine langfristige Zusammenarbeit im Wissens-, Kultur- und Technologietransfer sichern soll. Um damit postwendend die ökologischen und sozialen Verhältnisse zu verbessern. In Kolumbien ist man offenbar derart angetan von Patt und seiner Initiative, dass man ihn dort bereits mit Orden dekorierte. Wovon wiederum Patt ziemlich angetan ist.

Der Künstler bleibt zurück

Und noch etwas hat der Landrat organisiert: dass kolumbianische Künstler zu Studienaufenthalten nach Neuss kommen können. Unterstützung bekommt Patt hier von der Museumsinsel Hombroich. Dort, wo der zweite Patt geboren wurde. Der Künstler. Nachdem er in der Jugend bereits über „den Elvis“ zur Rockmusik gekommen war, mit seiner Rockband gar in Fernseh-Galas aufgespielt hatte, brachten ihn unter anderen die Bildhauer Anatol Herzfeld und Ulrich Rückriem zur Kunst. Und also zu dem, was jetzt hier, in seinem Atelier, an den Wänden hängt und auf dem Boden steht. Kleine Skulpturen, Kopien seiner Arbeiten, die in Potsdam stehen, in Bonn, natürlich in Neuss. Und Bilder. Groß. Grell. Viel Gold.

„Mit Anatol hat alles angefangen“, sagt Patt. Inoffiziell dürften aber auch die Gene eine Rolle gespielt haben. Patts Großväter waren Handwerker. Der eine Schmied, der andere Schreiner. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass der Landrat heute weniger ein schöngeistiger Maler ist, sondern vielmehr ein Handwerker. Mit Leinwand habe er sich immer schwer getan, erzählt er. So dass er schnell auf Karton und Holz umgestiegen sei.

Entstanden sind seine Tafelbilder, die mehr oder minder die Grundlage seines künstlerischen Schaffens bilden. Dann kommen die Skulpturen, wieder ein Handwerk. Und dann kommt die Computerkunst. „Moment“, sagt Patt. „Gegen diesen Begriff wehre ich mich – ich sage lieber New Pop Art.“ Was gleich dazu führt, dass Patt kurz über „den Andy“ sinniert, und was gewesen wäre, wenn der schon solche technischen Möglichkeiten gehabt hätte. Er, der Warhol, hätte sie vermutlich genutzt. Hätte auch den Computer eingesetzt. Wie Patt, der früh um vier, fünf Uhr aufsteht, um sich hinter den Rechner zu hocken. Das sei die schönste Zeit für ihn. Alles ruhig. Alles schläft. „Und ich weiß“, sagt Patt: „Meiner Familie geht es gut.“

Eifersucht scheint es da wohl auch nicht zu geben in Patts Familie. Schließlich hat der Landrat Shakiras Telefonnummer. Und lässt gerne mal seine Beziehungen spielen, nimmt zum Beispiel seinen Sohn mit zu einem Konzert, stellt ihn der Sängerin vor. Obwohl Patt sagt, die Sache mit Shakira sei „mehr als die Begeisterung für einen internationalen Popstar“. Und auch die Skulptur, die zwar der Gitarre spielenden Kolumbianerin nachempfunden ist, sei ein Symbol. Sie diene zur Ermutigung Jugendlicher. Sagt er. Und gießt Kaffee nach.

Draußen wartet schon der Fahrer. Der Fahrer des Landrats. Patt packt Unterlagen zusammen, streift sein Sakko über, verlässt das Atelier. Der Künstler bleibt zurück. Nun ist Dieter Patt wieder der Landrat. Termine. Den ganzen Tag. Bis abends. Dann kurz ins Bett. Dann, um vier Uhr, wieder an den Computer. Aber nicht als Landrat.