Der Geist von 92 weht durch Camp Nou

Auf seiner Missionsreise, die Champions League zu gewinnen, schlägt der FC Barcelona zwar Benfica Lissabon 2:0 und erreicht das Halbfinale, leidet aber weiter am Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Dauerrivalen

BARCELONA taz ■ Mitternacht zog vorbei, langsam nistete sich die Stille nach der Schlacht ein im Stadion Camp Nou. Nur eine entscheidende Frage war noch offen: Was würde es bei Familie Eto’o zum Abendessen geben? „Ich weiß es nicht“, sagte Samuel Eto’o, „meine Frau kocht.“ Im Neonlicht des Kabinengangs rieb er sich kräftig den Bauch, „Mann, habe ich einen Huuunger.“ Und, Tugend eines großartigen Stürmers, schon konzentrierte sich Samuel Eto’o wieder mit voller Kraft auf eine einzige Sache: „Tut mir Leid, ich kann jetzt nicht an den AC Mailand denken. Ich kann heute nur noch essen.“

Das Beste kommt erst noch, darin war sich die Belegschaft des FC Barcelona am Ende dieses Abends einig. Der eine dachte dabei ans Nachtmahl, die meisten anderen an den AC Mailand, der nun in zwei Wochen im Halbfinale der Champions League auf den Spanischen Meister wartet. Und vielleicht wird es dann tatsächlich eine Nacht zum Erinnern, falls sich Mailand entscheidet, mal wieder das große Milan zu geben, das mit dem Angriffsflair von Schwetschenko, Kaká und Inzaghi: ein Team, das sich auch über die Mittellinie hinauswagt. Solche Mannschaften sind rar geworden im Camp Nou.

Für ein überbordendes Spiel braucht es zwei, die spielen wollen. Das war das Einzige, was das voll und ganz aufs Zerstören konzentrierte Benfica Lissabon am Mittwoch bei seiner 0:2-Niederlage gegen Barça im Viertelfinale bewies. So aber wurde der Vergleich mit dem portugiesischen Meister für Barça nur zu einer jener Aufgaben, die man halt erledigen muss: Unterwegs zu Großem war dies nur wie ein Stopp auf einem Provinzbahnhof. Denn Barça ist auf einer Mission: Eine Mannschaft, die weiß, dass sie besser ist als fast alles, was es bisher im Fußball gab. Um das zu belegen, müssen sie aber die Champions League gewinnen. „Das Tor, von dem ich wirklich träume“, sagte Eto’o, der gegen Benfica den Treffer von Ronaldinho vorbereitete und den zweiten selbst schoß, „ist das Tor in Paris“ – am 17. Mai im Endspiel.

Es sind Duelle wie gegen Milan im Semifinale, in denen Sportgeschichte gemacht wird. Aber es sind Alltagsaufgaben, Nächte des Leidens wie gegen Benfica, in denen geprüft wird, wie gut dieses Barça wirklich geworden ist. In diesen Nächten bekommt Barças Schönheit ein ernsthaftes Gesicht. Vergaßen sie noch vergangene Saison, berauscht vom eigenen Schnellpassspiel, schon mal die Basis wie die Positionen einzuhalten, so bewegen sie sich dieses Jahr mit der Sicherheit einer Maschine. Sie schnürten Benfica mit unerbittlichem Pressing 30 Meter vor deren Tor ein, ein Nackenschlag – ein verschossener Elfmeter von Ronaldinho nach fünf Minuten – war nur ihr Ansporn, und die intuitiven Läufe, mit denen Eto’o oder Henrik Larsson im rechten Moment am rechten Ort erscheinen, sind phänomenal. Sie machten weiter, bis die Pässe doch einmal das gewohnte Spinnennetz woben, in dem sich jeder Gegner verfängt, und welch ein Moment entstand daraus: Als das erlösende 2:0 in der vorletzten Minute fiel, waren 84.000 Fäuste in der Luft; keine ausgestreckten Hände, sondern Fäuste. Zeichen der Anspannung, Symbole der Entschlossenheit.

Es ist nicht mehr November oder Dezember, als die Perfektion Barça als ihr Abbild auf Erden auserkor und Ronaldinhos Elf 18 Siege, 50:8 Tore in Serie hinlegte. „Aber wenn das die schlechten Momente sind, bin ich sehr glücklich“, sagte Trainer Frank Rijkaard. Wer eine bessere Elf finden will, sucht noch immer vergebens. Benfica diente nur dazu, das Verlangen nach diesem Pokal zu steigern. Auch nach dem 2:0 stand ein anderes Resultat im Raum: 1:9. Neunmal gewann Real Madrid den Europacup, Barça nur einmal. Benficas Trainer ist der Mann, der 1992 im Endspiel in der 111. Minute das Siegtor zum 1:0 für Barça über Sampdoria Genua schoss: Ronald Koeman. Nun, da der Geist von 92 zurückkehrt, versuchte Barças Präsident Joan Laporta, ihn zu fangen: „Ich habe Koemans Bein berührt, mit dem er damals das Tor markierte.“ RONALD RENG