die taz vor neun jahren über scientology, den verfassungsschutz und bayerns minister beckstein
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Scientology darf man getrost einiges vorhalten: die psychische und physische Ausbeutung seiner Mitglieder; ein exzessiv totalitäres Weltbild; eine aggressive, unter einem Kirchenmäntelchen versteckte Profitmaximierung – nur eines geht eben nicht: dem Sektenverein eine verfassungsfeindliche Bestrebung zu unterstellen, die den Sturz der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen trachtet.

Wer wie Bayern und Baden-Württemberg Scientology zum Beobachtungsgegenstand der Verfassungsschützer erklärt, bekämpft damit keineswegs die abstrusen Wahnvorstellung der verschrobenen Science-fiction-Freaks. Allenfalls verhilft er den legitimationsgeschädigten Geheimdienstbehörden zu einer neuen, zweifelhaften Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Es scheint, auch Bayerns Innenminister Beckstein ist zwischenzeitlich ein solcher Verdacht gekommen. Wie anders will man sich erklären, daß nun auch er auf einmal seelsorgerische Hilfe im Kampf gegen die Sekte herbeifleht. Ein koordiniertes Vorgehen der beiden großen Kirchen fordert der Minister. Sie sollten die Behörden bei den „gegen die Scientology-Organisation ergriffenen staatlichen Maßnahmen“ unterstützen. Dem immanenten Eingeständnis bisherigen Mißerfolges folgt die Frage: Bitte schön, Herr Beckstein, wie? Der Priester als Verfassungsschützer in einer Front im Glaubenskrieg gegen „antichristliche Ausrichtungen“? Sollen etwa gläubige Katholiken die Scientologen dort unterwandern, wo V-Leute der Geheimdienstler versagen? Drei Ave Maria dafür, daß es soweit nicht kommt.

Wer dem blanken Populismus nicht auf den Leim gehen will, wird sinnvollerweise die Auseinandersetzung mit Scientology denen überlassen, die dafür zuständig sind – den Strafverfolgern und Finanzämtern, den Sektenbeauftragten und der zuständigen Enquetekommission des Bundestages. Für Minister Beckstein beten wir: Herr, wirf Hirn vom Himmel! wg, 7. 4. 1997