Am Bierhimmel leuchten wieder die Sterne

STAMMGÄSTE Die Kreuzberger Traditionskneipe Bierhimmel hat wieder geöffnet. Nicht nur die queere Szene freut sich darüber

Endlich wieder Tränentorte. Nach mehreren Monaten Abstinenz steuern die Gäste der Kreuzberger Kneipe „Bierhimmel“ zielstrebig zur Kuchenvitrine. Für eine Weile sah es so aus, als ob es in dem Traditionslokal auf der Oranienstraße nie wieder die legendäre Käse-Quark-Torte oder andere hausgemachte Kuchen geben würde. Ende Dezember sperrte Wirtin Claudia Ullmann den Laden zu – vermeintlich für immer. Nach 20 Jahren hatte sie genug von der Gastronomie. Der geschwungene „Bierhimmel“-Schriftzug wanderte ins Schwule Museum. Das Kapitel schien abgeschlossen.

Doch die Wirtin hatte die Rechnung ohne ihre Gäste gemacht. Für die war der „Bierhimmel“ so etwas wie ihr Wohnzimmer. „Ich habe geweint, als ich von der Schließung hörte“, bekennt der Künstler Wolf von Waldow, der in dem Lokal seine Hochzeit gefeiert hatte. Auch Christian Raschke wollte den „Bierhimmel“ nicht verloren geben. Der Kreuzberger Impresario, dem auf der Oranienstraße bereits ein T-Shirt-Laden und die Konzertkasse Koka 36 gehören, beschloss, ins Gastronomiegeschäft einzusteigen.

„Es war eine kaufmännische, aber auch eine soziale Entscheidung“, sagt er. „Ich wollte, dass dieser besondere Treffpunkt erhalten bleibt.“ Das wollte auch der Hausverwalter, der Raschke dieselben Konditionen wie seiner Vorgängerin anbot und bei der Sanierung half. Der neue Wirt verpflichtete große Teile des alten Personals, ließ den alten Schriftzug nachpinseln.

Für die Innenausstattung verpflichtete er den Stammgast und Künstler Wolf von Waldow, der dem patinierten Gastraum eine frische Wand- und Innendekoration verpasste. Den vorderen Raum schmücken terrakottafarbene Wandfriese mit Kreuzberger Straßen(kampf)-Szenen. Den langen Schlauch des Gastraums dominieren rote Polsterbänke und Tapetenbahnen, die Reiseszenen zeigen. Die ursprünglich für ein Hotel entworfene Tapete wirkt in einer Kneipe etwas schräg – genau wie die selbst gebauten kleinen Lampen, aus denen links und rechts Hände wachsen. Unter den Gästen sorgte laut Wirt das neue Interieur durchaus für Diskussionen.

Trotzdem kamen sie fast alle wieder, seitdem der neue, alte „Bierhimmel“ im März wieder eröffnete. Auch die Tortenbäckerin Bettina, die bei der Ausstattung ihrer Backstube im hinteren Teil des Ladens mitredete, ist mit von der Partie. Nur die Exwirtin kam nicht – sie grollt den neuen Betreibern dafür, dass sie wiedererweckten, was sie für immer beenden wollte.

Selbst Laptops sind erlaubt

Vom alten Bierhimmel sind nur noch der Mosaikboden und die gepolsterte Tür zum Raucherzimmer im Original erhalten. Doch in guter Kreuzberger Manier wird auch in der neuen Gaststube wieder viel gelästert, Zeitung gelesen und Torte verdrückt, gegen später fließt auch Alkohol. Vor allem Schwule und Lesben zwischen 30 und 60, aber auch ihre heterosexuellen Freunde und Touristen träfen sich hier, sagt Wirt Raschke. „Vom Punk bis zum Soziologen kommen alle“, meint Wolf von Waldow.

Im Gegensatz zu früher sind jetzt auch Laptops im Gastraum erlaubt. Steckdosen gibt es allerdings keine, offensiv befördern will man den Mitte-Zeitgeist nicht. Die Gefahr einer drohenden Yuppisierung der Oranienstraße sieht man im „Bierhimmel“ aber nicht. „Die Oranienstraße verändert sich alle paar Jahre, das ist normal“, sagt Raschke, der seit 25 Jahren im Kiez lebt. Wolf von Waldow sieht die Verbreitung von Kaffeeläden und Asia-Bistros als Veränderung des Ausgehverhaltens. „Eine neue Generation hat übernommen, das ist doch gut“, sagt er. Solange es im Bierhimmel weiter Torte gibt. NINA APIN