Die unantastbare Triade

DOKU.ARTS Nach Stationen in Amsterdam und Rio de Janeiro kehrt das Filmfestival Doku.Arts nach Berlin zurück und präsentiert Porträts, Dokumentationen, und essayistische Filme, die sich auf unterschiedliche Weisen mit Kunst und deren Entstehen beschäftigen

Maamoun sucht mit Szenen aus der ägyptischen Filmgeschichte nach Deutungsmöglichkeiten für die Pyramiden von Gizeh

VON ANTONIA HERRSCHER

Zwischen 1909 und 1916 dokumentierte der Fotograf Sergej Prokudin-Gorski im Auftrag des Zaren Nikolaus II. systematisch das gesamte russische Reich. Der studierte Chemiker hatte schon Anfang des 20. Jahrhunderts ein Verfahren zur Herstellung von Farbdias entwickelt. Die heute über 10.000 digitalisierten Aufnahmen waren für Ben van Lieshout Anlass, sich selbst auf die Spuren der Fotografien von damals zu machen: „Inventory of the Motherland“ (2012) ist van Lieshouts Hommage an Prokudin-Gorski und zugleich ein ruhiges, kontemplatives Dokument, begleitet von Klängen des heutigen postindustriellen Nordwesten Russlands.

Der Film läuft im Programm des Filmfestivals Doku.Arts, das im Rahmen der diesjährigen Berlin Art Week noch bis zum 29. September im Zeughauskino Produktionen zeigt, die sich auf unterschiedliche Weisen mit Kunst und deren Entstehen befassen. 2006 in der Akademie der Künste initiiert, fand das Festival von 2008 an zunächst im Filmmuseum Amsterdam und dem Instituto Moreira Salles Rio de Janeiro statt, um schließlich im vergangenen Jahr nach Berlin zurückzukehren. Es laufen 22 Porträts, Langzeitbeobachtungen und essayistische Filme aus 17 Ländern, die den Blick auf künstlerische Produktionsprozesse und ihre Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Entwicklungen vertiefen.

Doku.Arts versammelt klassische Porträts von Künstlern wie dem japanischen Architekten Tadao Ando („Von der Leere zur Unendlichkeit“) oder des amerikanischen Schauspielers Harry Dean Stanton („Partly Fiction“) – der es als ewiger Nebendarsteller trotzdem zu Weltruhm brachte – neben unkonventionellen Dokumentationen wie „Our Nixon“ von Regisseur Penny Lane. Dieser fügte Amateur-Super-8-Filmaufnahmen langjähriger Mitarbeiter des ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon in Kombination mit den berüchtigten „Nixon Tapes“ zu einem Porträt seiner politischen Episode Anfang der 1970er Jahre zusammen.

In einer touristischen Betrachtungsweise widmet sich der ägyptische Film „Domestic Tourism II“ der identitätsstiftenden Bedeutung der Pyramiden von Gizeh. In diesem aus Szenen der ägyptischen Filmgeschichte ab den 50er Jahren bestehenden skurrilen Melodram sucht die Regisseurin Maha Maamoun nach neuen Deutungsmöglichkeiten für diese „Wahrzeichen“ Ägyptens und deren Instrumentalisierung und Politisierung durch die verschiedenen Regime.

Eröffnet wurde Doku.Arts mit dem Dokumentarfilm „Room 237“ (2012) des amerikanischen Regisseurs Rodney Ascher, der bereits auf zahlreichen Festivals wie Sundance und Cannes begeistert aufgenommen wurde und diese Woche seinen offiziellen Kinostart in Deutschland hat. Ascher nimmt darin den Zuschauer mit auf eine gruselig-komische Reise durch ein Labyrinth von Hinweisen und Details der Verschwörungsfantasien um Stanley Kubricks Horrormeisterwerk „Shining“ aus dem Jahr 1980. Ein überraschender und besonders schöner Film ist Mike Lerner mit dem Dokumentarfilm „Pussy Riot: A Punk Prayer“ (2013) gelungen. Im Februar 2012 hatten die feministischen Performance-Künstlerinnen im Altarraum der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau ihren Protest gegen das Regime Putin und die Rolle der orthodoxen Kirche in einem „Punk-Gebet“ inszeniert und mit der darauffolgenden Festnahme eine weitaus größere Welle ausgelöst, als sie geahnt hatten. Der Film folgt einerseits sensibel dem Gerichtsprozess und porträtiert drei junge Frauen, die in beeindruckend eloquenter wie bescheidener Weise dem Gericht einen Spiegel vorhielten und damit die Performance konsequent weitertrieben und weltweite Solidarität auslösten.

Darüber hinaus aber vermittelt der Film in Interviews mit Eltern, Vertretern der orthodoxen Kirche und Protestlern einen Eindruck davon, wie unantastbar die Triade von patriarchaler Gesellschaft, Staatsmännern wie Wladimir Putin und der orthodoxen Kirche in Russland geworden ist. Welche Position die orthodoxe Kirche in diesem Machtgefüge hat, bringt die Äußerung eines Priesters der Christ-Erlöser-Kathedrale auf den Punkt: „Wir Orthodoxen müssen vergeben, der Staat wird entscheiden, welches Gesetz die Frauen gebrochen haben.“ Widerstand gelingt hier am wirkungsvollsten in Form schockierender und humorvoller Inszenierungen. Die Humorlosigkeit Putins hingegen gerät im Film dann ins Groteske, als er einen britischen Journalisten in einem Interview so lange auffordert, den Namen „Pussy Riot“ ins Russische zu übersetzen, bis selbst diesem das Lachen mit den Worten „ich verstehe die Pointe wohl nicht“ im Halse stecken bleibt.

■ Doku.Arts: Zeughauskino im DHM, bis 29. September. Programm: www.doku-arts.de