Wann kommt die FleischCard?

KUNST II Wie stark Fleischindustrie und Fleischkonsum unseren Alltag bestimmen, zeigt die Ausstellung „Das neue Fleisch“ bei After the Butcher

Das After the Butcher in Lichtenberg, das als Raum von Künstlern für Künstler betrieben wird, war ab den 1960ern für lange Zeit Teil einer Metzgerei. Nun kehrt das Fleisch in das Lokal zurück: Auf reportagehaften Bildserien von Alexander Roob und Xiaopeng Zhou, in Gestalt von plastischen, fleischähnlichen Gebilden von Robert Estermann, auf Bildern von Dierk Schmidt und Monika Baers und in den 3-D-Grafiken des Hamburger Künstlers Felix Reidenbach. „Das neue Fleisch“ heißt die Ausstellung des Melton Prior Instituts für Reportagezeichnungen.

Bekannt wurde Felix Reidenbach mit seinen „niedlichen“ grauen Comicfiguren, die in den 1990ern regelmäßig in der Musikzeitschrift Spex erschienen. In seinem Beitrag zur Ausstellung sieht man die Welt der Niedlichen als eine Parodie unserer Gesellschaft, unserer Medien und Politik. Thema dabei ist die hypothetische „FleischCard“, die von einer hypothetischen Bundesregierung gegen nicht hypothetischen Klimawandel und Fleischverknappung eingeführt wird. „125 g pro Woche – eine vernünftige Ration“ wirbt das Bundesministerium für Ernährung. Die FleischCard beinhaltet ein Guthaben, das einfach am Automaten aufgeladen und in allen Geschäften und Restaurants gegen Fleisch eingetauscht werden kann.

Diese Idee wirbelt nun den gesamten Mediensektor auf. Bei „Sabine Willner“ diskutieren die niedlichen Experten darüber, ob die Karte eine Spaßbremse oder ein Klimajoker sei, bei „Maischen bei Menschberger“ geht man davon aus, dass die FleischCard zu einer Verbreitung von Schwarzfleisch führen wird, und das ZDF wirbt mit einem Nichtfleischesser-Pflaster gegen das Gefühl der Abstinenz.

Das Szenario enthält auch Parallelen zu unserer Gesellschaft. Denn aktuelle Ereignisse, wie der Vorschlag eines Veggie Days der Grünen Partei, werden explizit aufgegriffen: „Um Orte deutscher Schande zu besuchen, müsste der Bundespräsident nicht ins Ausland reisen. Ein kurzer Spaziergang zur Bundesgeschäftsstelle der Grünen würde reichen“, wettern Politiker in einer niedlichen Zeitung. Der Realismus, der dem Betrachter begegnet, wird mit kleinen Details gebrochen, wie dem Preis der Zeitung von 100 Euro. Sonst müsste man es bei Reidenbachs Grafiken mit der Angst zu tun bekommen: Der fleischessende Besucher würde sich vor der Prophezeiung einer fleischlosen Dystopie fürchten müssen. Der, der den Fleischkonsum ablehnt, müsste erkennen, dass er in einer Gesellschaft lebt, die ohne den Fleischkonsum Existenzängste entwickelt.

Wie Fleischproduktion auch in Bilder umgesetzt werden kann, zeigt die Reportage von Xiaopeng Zhou. Von dem aus China stammenden und in Deutschland lebenden Künstler gibt es einen Auszug aus einer Bilderstrecke zu sehen, die er im Lauf von vier Wochen in türkischen und kurdischen Schlachtereien anfertigte. Seine naturgetreuen Zeichnungen von den Metzgern bei ihrer Arbeit und ihrem Alltag rücken das Fleisch auf der Bildebene in den Hintergrund, auch wenn es das Leben der gezeichneten Personen bestimmt. So wie es auch bei Reidenbachs Grafiken nie stofflich auftritt, sondern nur als allegorischer Bezug via FleischCard. Dezent und doch offensichtlich beeinflussen Fleischindustrie und Fleischkonsum unseren Alltag.

SEYDA KURT

■ Bis 18. Oktober