Schulen begehren Physiker

Die Prognosen über den künftigen Lehrerbedarf widersprechen sich. Sicher ist nur: Naturwissenschaftler sind schon heute überall umworben. Bei Fächern wie Deutsch müssen Lehrer im Norden auf eine Stelle warten - oder aufs platte Land ziehen

Von Marc-Andre Rüssau

Über den akuten Lehrermangel, den Philologenverband und Kultusministerkonferenz für das Jahr 2015 befürchten, kann nur lachen, wer in Hamburg nach dem Studium ein Referendariat machen will: Durchschnittlich warten angehende Gymnasiallehrer hier anderthalb Jahre auf einen Platz. Da klingt die Prognose der Arbeitsgruppe „Bildungsforschung/Bildungsplan“ realistischer: Die Essener Forscher rechnen zukünftig mit einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Bewerbern und Stellen. Vielleicht, so die Einschätzung, gibt es sogar einen kleinen Überschuss an Bewerbern.

„Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte“, meint Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU). Probleme bei der Stellenbesetzung seien qualitativer, nicht quantitativer Art. Sprich: Für einige Fächer gibt es zu viele, für andere zu wenige Bewerber.

Grund genug für sein Ministerium, eine Imagekampagne für den Beruf mit dem Titel „Gute Lehrer braucht das Land“ zu starten. Mit Anzeigen und Flyern sollen Abiturienten überzeugt werden, ein Lehramtsstudium zu beginnen. Allerdings das richtige: Bei den Bewerbern für ein Referendariat in Niedersachsen hatten zuletzt mehr als die Hälfte das erste Staatsexamen im Fach Deutsch vorzuweisen. „Deutsch ist und bleibt ein wichtiges und schönes Fach“, kommentiert Busemann, „aber damit gibt es seit langem immer wieder ein Überangebot an Bewerbern.“

Bei naturwissenschaftlichen Fächern hingegen fehlt es in allen Nordländern. Kein Wunder: Wer diese Fächer beherrscht, den lockt die Industrie mit deutlich höheren Gehältern, als sie der Schuldienst bieten kann. „Fachspezifischer Mangel herrscht in den Fächern Physik, Informatik und Chemie“, so Alexander Luckow, Sprecher der Behörde für Bildung und Sport in Hamburg: „In allen anderen Fächern gibt es genügend Bewerbungen für die Einstellungen in den Schuldienst wie in den Vorbereitungsdienst.“ Die Flächenländer stehen vor dem zusätzlichen Problem, Lehrer von der Provinz zu überzeugen: „Wenn ein Bewerber zur Verfügung steht, aber nicht bereit ist, in das ehemalige Zonenrandgebiet oder an die niederländische Grenze zu gehen und lieber auf eine freie Stelle in Hannover, Göttingen, Hildesheim oder Osnabrück wartet, kann ihn der Kultusminister nicht zwingen“, beklagt Busemann.

Ähnlich ist die Situation in Schleswig- Holstein: „Am häufigsten werden Kiel und Lübeck gewünscht“, sagt Sven Zylla, Sprecher des Ministeriums für Bildung und Frauen. Für die Westküste sei es schwierig, Bewerber zu finden. Berufsschullehrer gingen bevorzugt in den Hamburger Speckgürtel.

Auch die Schulformen werden unterschiedlich nachgefragt. Beliebt sind vor allem die allgemein bildenden Schulen. „Ab einer Note von 2,0 im Staatsexamen und ohne Mangelfach muss in Hamburg nahezu gesichert von einer Wartezeit ausgegangen werden“, stellt Behördensprecher Luckow klar.

Aussichtsreicher hingegen ist die Situation für Berufsschullehrer: „Bundesweit wird von einem Überangebot im Lehramt für Sonderpädagogik und von einem zu geringen Angebot im Lehramt an beruflichen Schulen ausgegangen“, weiß Luckow. Wobei es auch keine Einstellungsgarantie für Berufsschullehrer gibt: Im Bereich Pflegewissenschaften beispielsweise liegt die Wartezeit in Bremen teilweise bei über vier Jahren.

Schwierig ist auch die Situation an Grundschulen. Dort eine Stelle zu bekommen, haben Männer die größten Chancen: Die Homepage der Bremer Behörde für Bildung und Wissenschaft lobt sogar das Ziel einer „ausgewogenen Versorgung der Schulen mit weiblichen und männlichen Lehrkräften“ aus. Denn bisher sind Bewerber für Grundschulen meist weiblich.