Folgen eines Telegramms

Nadeln adeln: Wie selbst die Queen einmal Punk wurde. Jamie Reid, ehemals Designer der Sexpistols und heute Schöpfer komischer Wurmwesen, schaute mal kurz auf seiner Ausstellung in der Galerie Aquarium in Kreuzberg vorbei

Punks waren keine da. Jedenfalls keine noch aktiven. Vielleicht standen stattdessen aber ein paar Bild-LeserInnen bei der Eröffnung der Galerie „The Aquarium“ herum – das Springer-Hetzblatt hatte in einer grotesken Verwischung der Fronten eine Ankündigung zur Jamie-Reid-Vernissage am Mittwoch gedruckt, samt Aufforderung, doch die alten Sex-Pistols-Alben zum Signieren mitzubringen. Die bei Bild-LeserInnen bekanntlich zuhauf im Plattenschrank stauben.

Der Künstler Jamie Reid bekam 1976 ein Telegramm von seinem alten Studi-Kumpel Malcolm McLaren. Darin forderte McLaren ihn auf, zusammen an der grafischen Umsetzung einer neuen Band zu arbeiten: den Sex Pistols. Reid war zu dieser Zeit schon durch die politische 68er-Schule gegangen, hatte in der „Suburban Press“ liberale DenkerInnen und AnarchistInnen publiziert, sich mit Surrealismus, Dada, Popart, Agitprop und vor allem Situationismus auseinander gesetzt. Seine Plattencover- und Bildentwürfe für Großbritanniens später bekannteste Punkband waren radikal genug, um inhaltlich und formal Grenzen zu sprengen: Das Antlitz der Queen mit einer durch die Lippe gestochenen Sicherheitsnadel, mit Hakenkreuzen oder ausgerissenen Zeitungsbuchstaben zu verschönern, erschien Englands Establishment bedrohlich und der vorherrschenden Hippiekultur zumindest suspekt.

Der Sicherheitsnadel als königliches Piercing folgten Coverentwürfe für die Sex-Pistols-Single „Pretty vacant“, der situationistische Comic-Rip-Off auf „Holidays in the sun“ und schließlich das Cover zu „Never mind the Bollocks, here's the Sex Pistols“, ein in gelb-pink gehaltener, minimalistischer Design-Kahlschlag aus verschiedenen Schriften, ganz ohne Foto oder Bildmotiv.

Reids Entwürfe definierten und archivierten Punk – einen Jugendstil und gesellschaftlichen Gegenentwurf, der doch stets ohne Logo und ohne Definition auskommen wollte. Die Sicherheitsnadel findet sich seither im etablierten und im Underground-Modedesign wieder, seine Collagen vermitteln die Ideen mindestens so gut wie der Text zu „Anarchy in the UK“: Get pissed, destroy. Im Kreuzberger Aquarium, der Berliner Sommerdependance einer Londoner Galerie gleichen Namens, hängen außer den seltsam gut gelaunt wirkenden Cut-&-Paste-Bildern mit Queen und Hakenkreuzen, dem rehäugigen „Who killed Bambi?“ mit Sicherheitsnadel im Ohr und anderen, kleinen Jackson-Pollock-Reminiszenzen auch popartige Comiczeichnungen.

„A cheap holiday in other people's mysery“, das Titelbild der Ausstellung, zeigt ein kuscheliges Pärchen im Rauschenbach-Stil inklusive Sprechblasen. Reid selbst, klein, lang- und grauhaarig, in bedrucktem T-Shirt und mit Hut ganz der Kunsttyp aus Croydon, blieb nicht allzu lang bei seiner Ausstellung – der fast 60-Jährige ließ die fröhlichen BesucherInnen, Ex-Punks, Punk-Fans und KunstliebhaberInnen mit ihren Bierflaschen und der ewigen Frage unter sich, inwieweit eine Gegenbewegung sich denn nun eigentlich selbst erledigt, wenn man sie in Galerien institutionalisiert hat. Die Sex Pistols selbst haben dieses Thema mit „The Great Rock 'n' Roll Swindle“ ohnehin schon durchgeackert, und die Fans sind die Einzigen, denen die Kommerzialisierung noch immer Sorgen bereiten könnte.

Für Ried persönlich ist Punk zwar Teil seiner Persönlichkeit. Was und wie der Künstler Reid heute arbeitet, kann man nur auf einer Presse-CD sehen: Die Kamera fährt langsam über von ihm selbst mit Schamanismus definierte, vom misstrauischen Betrachter eher unter Ethno-Kunst abgelegte Farbdessins und figurative, komische Wesen mit wurmartigen Körpern und großen Augen. Teil der Jugendbewegung, die daraus entstanden wäre, würde man weiß Gott nicht sein wollen.     JENNI ZYLKA

Galerie Aquarium, Falkensteinstraße 35; bis 2. Mai, Do.–So. 12–20 Uhr