Schräger Chic

Die Welt trägt diagonal, und keiner weiß, warum. Allein die Radfahrer können erklären, was sie zur Umhängetasche zieht – zumindest ansatzweise. Was einerseits die Balance erschwert, erleichtert andererseits den schnellen Zugriff, ohne abzusteigen

VON CLAUDIA SCHALLENBERG

Lange Zeit galten die City-Radler als regelrecht Rucksack-affin, nun werden sie immer öfter mit Seitentasche gesichtet. Die ist geschneidert aus Lkw-Plane, Rasenimitat oder Filz, zusätzlich aufgewertet durch Kuhfellapplikationen. Der Seitentaschenmarkt hält offensichtlich für jeden Geschmack und Geldbeutel das passende Modell bereit. Es sieht so aus, also ob da der gute alte Rucksack in puncto Design nicht mithalten kann. Wie aber steht es mit dem Fahrkomfort?

Kein Abschultern, dafür aber blaue Flecken

Fest steht: Bei der Seitentasche herkömmlicher Bauart schlenkert es, und zwar mächtig. Jedes Bremsen lässt sie wie die Sehne eines Bogens nach vorne schnellen, blaue Flecken sind bei solchen Schleudervorgängen manchmal nicht zu vermeiden. Und der Transport schwererer Gegenstände stellt eine echte Herausforderung an den Gleichgewichtssinn dar. Dennoch scheinen Radler die Bandscheibenschikane gern duldsam auf sich zu nehmen, weil die Seitentasche auch praktische Vorteile bietet.

Melanie zum Beispiel hält an ihrer Seitentasche Typ „Schweizer Armeedecke“ fest und erklärt die Lage so: „Das Baumeln und Schwenken während der Fahrt nervt schon, aber mit nur einem Griff bin ich an meiner Tasche und muss dazu nicht erst absteigen. Ich bin einfach schneller, das ist mir wichtig.“ Das zeitintensive Abschultern, wie es typisch ist für den Rucksack und seine Vorgänger (Ötzi-Kraxe, Affe, Tornister), entfällt. Mit einem Griff ist man am Handy, Lipgloss oder an sonstigem Equipment des urbanen Nahkampfs. Der Mensch fühlt sich mit Seitentasche einfach flexibler, und das zählt.

Erst der Gurt macht die Seitentasche kompatibel

Mittlerweile haben auch die Hersteller die angeblichen oder tatsächlichen Produktvorteile der Seitentaschen erkannt und preisen spezielle Modelle für Radler an. Oftmals bieten diese „Fahrradseitentaschen“ neben sportivem Firlefanz allerdings keinen Mehrwert. Es sei denn, man baut so ein Ding wie „Zip-City“ oder „Sling-it“. Beide Modelle stammen aus dem Hause Ortlieb, wo man die physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Fahrradfahrens offensichtlich kennt. Dank eines abnehmbaren „Rückenfixiergurtes“ bleibt sowohl die eine als die andere Tasche da, wo sie beim Treten nicht weiter stört – auf den Rücken. „Sling-it“ wird ihrem Namen erst dann gerecht, wenn der Fixiergurt gelöst ist.

Doch für Christof Scheitel, bei Ortlieb zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, ist die Seitentasche an sich mehr als nur ein praktisches Transportmittel. Sie werde immer mehr zum Teil der Kleidung: zu jedem Outfit die entsprechende Tasche, auch beim Radeln. Der Seitentaschenboom werde also weitergehen, meint Scheitel, allerdings räumt er auch dem Rucksack noch Chancen ein und mag in den universellen Abgesang nicht so recht einstimmen. Vor allem Businessbiker, eine mehr auf Traditionen abonnierte Zielgruppe, schulterten weiterhin den Rucksack, um morgens ins Büro zu radeln. Das Schräge – etwa in Form einer baumelnden Kuhfelltasche – verträgt sich halt nicht so gut mit dem gedeckten Zwirn des Geschäftsanzugs.