„Für Gesundheit muss man etwas investieren“

Die Vorschläge von Union und SPD zur Reform des Gesundheitswesens greifen zu kurz. Sinnvoll wäre ein Modell, das Bürgerversicherung und Kopfpauschale miteinander verschränkt, sagt der Sozialexperte Michael Opielka

taz: Herr Opielka, wird es eine Gesundheitsreform geben, die diesen Namen verdient?

Michael Opielka: Derzeit kann ich mir nicht vorstellen, wie SPD und Union zu einer langfristig wirksamen und sinnvollen Gesundheitsreform kommen sollen. Aber man munkelt ja, dass es vielleicht eine zweistufige Reform geben soll. Dass also zunächst die akute Finanznot der Kassen gelindert wird und in einem zweiten Schritt die Strukturen verändert werden sollen.

Was wäre etwa mit einem Jahr Aufschub gewonnen?

Vielleicht ändert sich endlich die Diskussion. Sie steckt noch viel zu sehr in einem inkompetenten Lagerdenken. Wenn von Bürgerversicherung geredet wird, dann geht es oft gar nicht um eine wirkliche Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und alle Einkommensarten vollständig berücksichtigt werden. Die Vorschläge von Rot-Grün aus der letzten Legislaturperiode hätten zum Beispiel gerade eine Beitragssenkung von 1,5 Prozentpunkten gebracht. Die wären durch die Kostensteigerung im Gesundheitswesen in ein oder zwei Jahren bereits wieder aufgezehrt. Dafür einen solchen Aufwand zu treiben, überzeugt die Bevölkerung nicht. Da muss die SPD weitergehen.

Ausgerechnet mit der Union?

Die will natürlich die Kopfpauschale durchsetzen, die auch ihre Vorteile hat.

Welche?

Die Kopfpauschale macht allen Bürgern deutlich, dass Gesundheit ein Solidargut ist, für das man auch etwas investieren muss. Allerdings gilt das nicht wirklich für das Modell der Union. Das war in der letzten Phase absolut undurchsichtig und hat sich nur auf die gesetzlich Versicherten bezogen. Zudem hat man in der Union überhaupt nicht auf die Erfahrungen in der Schweiz reagiert, wo es die Kopfpauschale bereits seit 1996 gibt …

Und wo vor allen Dingen die negativen Auswirkungen zu besichtigen sind.

Es gibt in der Schweiz zwei ganz große Probleme: Die Gesundheitskosten sind enorm gestiegen, mittlerweile hat die Schweiz im OECD-Vergleich nach den USA das zweitteuerste Gesundheitswesen. Und ein immer größerer Anteil bezieht einen staatlichen Zuschuss und muss dazu seine Einkommenssituation offen legen.

Wie könnte bei dieser Ausgangslage ein Kompromiss in der großen Koalition aussehen?

Vorbild könnte die Schweiz sein, allerdings nicht die dortige Kranken-, sondern die Rentenversicherung. Dort gibt es eine Sozialsteuer, die auf alle Einkommen erhoben wird, und für die es einen Mindestbeitrag gibt. Damit hätte die Union ihre Kopfpauschale. Sie müsste bei uns monatlich in etwa bei 50 bis 80 Euro für jeden Erwachsenen liegen. Kinder würden nicht über Steuern finanziert, sondern aus dem Gesamtfonds der Bürgerprämienversicherung. Kostenlos mitversicherte Ehepartner gäbe es nicht mehr.

Ist eine solche Pauschale sozial gerecht?

Ja, wenn sie durch eine Mischung aus Beitrag und Steuer aufgestockt wird und für die Gesundheitsversorgung zweckgebunden ist. Dieser Beitrag, nennen wir ihn einmal Sozialsteuer, müsste ohne Obergrenze auf alle Einkommensarten erhoben werden. Geht man von der genannten Prämie aus, müssten dafür vier oder fünf Prozent reichen. Die Union hätte damit wie gesagt ihre Kopfpauschale, dazu die Entkopplung von den Löhnen. Und die SPD könnte die Berechnung aller Einkommensarten für sich geltend machen.

Welche Auswirkungen hätte Ihr Modell für Menschen mit geringem Einkommen?

Wenn die Pauschale nicht zu hoch ist, würden die niedrigen Einkommensgruppen nicht stärker belastet und trotzdem würde mehr Geld in das Gesundheitssystem fließen. Heute zahlt man bei einem Bruttoverdienst von 1.000 Euro einen Beitrag von etwa 140 Euro. Mehr wäre es sicher nicht. Gutverdiener würden aber stärker belastet als bislang.

Können Sie sich eine solche Lösung bei der großen Koalition wirklich vorstellen?

Eine solche Kompromisslinie ist andiskutiert …

Aber ohne so radikale Schritte in Richtung Privatversicherte und Steuerfinanzierung, wie Sie sie fordern.

Ein Problem ist in der Tat, dass wir in Deutschland bislang zwischen Beitrags- und der Steuerzahlung keine Mischform haben. Bei Steuern besteht außerdem die Gefahr, dass immer wieder irgendwelche Haushaltslöcher gestopft werden.

Ihr Vorschlag funktioniert nur, wenn man die Privilegien der Privatversicherten scharf beschneidet. Das wird mit der Union nicht zu machen sein.

Man muss die Unterschiede einebnen, aber gleich abschaffen muss man die private Krankenversicherung ja nicht. Sie könnte gleichberechtigt mit den gesetzlichen Kassen Anbieter sein, wie das seit 1996 in der Schweiz und seit 2006 in den Niederlanden der Fall ist. Ohne die genannten Veränderungen für die Gutverdiener aber geht es nicht.INTERVIEW: SABINE AM ORDE