Banksy soll es richten

KARIKATUR Unter dem Namen Putsch! haben sich junge Künstlerinnen zusammengefunden, um die politische Karikatur in Deutschland zu revolutionieren. Die Ergebnisse zeigen wenig Interesse fürs Politische, sehen aber gut aus

Man debattiert über Formen und Techniken, und man personalisiert. Über politische Inhalte aber spricht man nur in Ansätzen

VON JENS UTHOFF

Natürlich, der Mittelfinger. Es war die erste Steilvorlage im Wahlkampf, und auch das Putsch!-Team hat sich drauf gestürzt. „Ich war fast ein bisschen froh, als das passiert ist, denn sonst war ja nicht viel los im Wahlkampf“, sagt Thilo Kasper. Nun flimmert Steinbrücks Stinkefinger wie ein Hollywood-Oscar in Gold auf dem Bildschirm eines Laptops. Oder er steht auf einem fingierten „Farce Wars“-Filmplakat der Merkels’chen Raute gegenüber.

Es sind dies einige erste Ergebnisse der Künstlergruppe Putsch!, die sich derzeit im Club der polnischen Versager in Mitte zu einem Seminar zur politischen Karikatur zusammenfindet. Deren Leiter, Thilo Kasper, der Kommunikationsdesign an der Universität der Künste (UdK) studiert, will mit dem Kurs nicht weniger als die politische Karikatur in Deutschland revolutionieren: „Die klassischen Karikaturen, wie wir sie heute noch aus den Zeitungen kennen, kommen in unserer Generation gar nicht mehr an“, meint der 25-Jährige. Man brauche dringend neue Formen und eine jüngere Karikaturistengeneration für diese Zielgruppe.

Deshalb beschäftigt sich die Künstlergruppe, der zwei Studenten und acht Studentinnen aus den Bereichen Design, Kunst und visuelle Kommunikation angehören, anlässlich der Wahl mit der Frage, welche Formen und Techniken die richtigen sind, um politische Satire heute zu transportieren. Das können kurze Filme oder Animationen sein – es kann auch ein Blog sein. „Technisch sind wir völlig frei“, sagt Kasper. In der Tat wirkt das zweiwöchige Versuchslabor sehr experimentell: Alles kann, nichts muss.

Im Club der polnischen Versager sind Arbeitstische aufgebaut. Auf den Tischen liegen: Kreidestifte, Tuschestifte, Filzstifte. Jede Menge Papier. Vor allem aber: Laptops. Hinter einem Bildschirm sitzt Designstudent Felix Plachtzik, der gerade an einem Animationsvideo arbeitet. Er hat ein in Neonfarben blinkendes Glücksrad entworfen. Wenn man per Mouseklick daran dreht, landet man auf einem Parteifeld – und der Computer zeigt einem an, welche Koalitionen mit dieser Partei denkbar wären. „Heraus kommt aber immer die Große Koalition“, sagt er, „diese Arbeit soll den Wahlkampftrend der letzten Tage wiedergeben.“

Ulrike Zöllner, 28, ebenfalls Studentin an der UdK, arbeitet gerade an einem comicartigen Wimmelbild, das den gesamten Wahlkampf abbilden soll. Man erkennt einen genesenden Rainer Brüderle, einen vor der CDU in die Knie gehenden Philipp Rösler, einige Piraten wirbeln auch durchs Geschehen. Auch hier zu sehen: der Mittelfinger.

Es geht den Künstlern darum, die klassische Form der gezeichneten Karikatur, die politisches Geschehen pointiert in einem Bild darstellt, aufzubrechen. Was aber kennzeichnet überhaupt eine (politische) Karikatur? Das Wort Karikatur ist aus dem Italienischen entlehnt („caricare“) und meint in seiner Ursprungsform „überladen, aufladen“. Im Deutschen wurde es oft als „Spottbild, Zerrbild“ bezeichnet.

Kasper versteht die Karikatur inhaltlich als „visuellen politischen Kommentar“ gemäß der Definition des Kommunikationswissenschaftlers Thomas Knieper. Und er sieht viele Probleme in der deutschen Karikaturenszene. Das betrifft zunächst aber nur die Produzentenseite: Es balle sich zu viel um die Neue Frankfurter Schule, also alles im weiteren Umkreis des Titanic-Magazins. Und wenn es junge Zeichner gebe, so passten sie sich zu sehr dem alten Stil an. Insgesamt beherrsche „ein Dutzend alter Männer“ den Karikaturistenbetrieb. Zu Putsch! haben sich daher vor allem junge Frauen eingefunden – für Kasper ist das schon ein Erfolg.

Dabei definiert sich die Gruppe aber nicht nur ex negativo. Man will sich an den Karikaturen aus der Weimarer Zeit – etwa aus der legendären Satirezeitschrift Simplicissimus oder von dadaistischen Künstlern – inspirieren lassen. Aktuelle Vorbilder kämen dann eher aus dem Bereich Graffiti oder Street Art – Banksy wäre da zu nennen, so Kasper. Auch in den Blogs schaue man genau, wie das politische Geschehen diskutiert würde. „Für mich ist es spannender, was im Netz passiert“, sagt Kasper.

Im Netz landen die Putschisten während des Seminars schließlich auch einen kleinen Hit. Mit dem Blog „peer-notiert“ persifliert die Gruppe Steinbrücks To-do-Liste auf dessen Website – in der neuen Version schreibt der User die Notizzettel nun selbst. An zwei Tagen nahmen über 1.000 Leute teil. Steinbrück verbreitete die Aktion über seinen Twitter-Kanal.

Ein Problem aber tritt beim Putsch! deutlich zutage: Man debattiert hier über Formen und Techniken, und man personalisiert viel (wie in der klassischen Karikatur auch). Über politische Inhalte aber spricht man nur in Ansätzen. Die hohe Kunst der Karikatur aber scheint doch darin zu liegen, die ständig zunehmende Inszenierung des Politischen mit Realpolitik zusammenzubringen.

Was die Mediennutzung angeht, zeigen die Putschisten Reformwillen: Von Animationen, Memen (also Internet-Inhalte, die sich schnell verbreiten sollen), Infografiken, klassischen Illustrationen bis hin zu Comics und Performances findet sich fast alles.

„Für uns ist der Putsch schon allein deshalb geglückt, weil Menschen anfangen darüber nachzudenken, was Karikaturen ausmacht“, zieht Kasper ein vorläufiges Fazit. Man gewinnt den Eindruck, dass die Fragestellungen und Ansätze nicht falsch sind – dass es aber daran fehlt, sie mit Inhalten zu füllen. Denn ganz gleich, wer und welche Generation sich mit Mittelfingern und Rauten auseinandersetzt: Im luftleeren Raum, wie es hier bisweilen scheint, stehen diese Gesten nicht.

■ Ausstellung zum Seminar: Vernissage + Party am Sonntag, 22. September, ab der ersten Hochrechnung. Bis 29. September, 11–18 Uhr. Club der polnischen Versager, Ackerstr. 168, Mitte. putsch-berlin.de, peer-notiert.de