UMSONST UND DRAUSSEN
: Technozirkus

„Hier tanzt, wer und wie er will“

Endlich ist er da, einer der ersten wirklich warmen Tage des Jahres, und ich freue mich wie ein kleines Kind. Es ist erst 10.38 Uhr und in Berlin ist der Wanderzirkus los. Nur diesen Samstag, für ein paar Stunden, wird eine besondere Manege aufgebaut. Viel braucht es nicht: Strom, Boxen und ein wenig DJ-Technik, vielleicht noch ungekühltes Bier und ein paar mutige Veranstalter, die die urbane Parkfläche der Hasenheide heute in einen Technozirkus voller Stadtartisten verwandeln – und dies vorher per Mundpropaganda oder Social Media kundtun. Niemand weiß ganz genau, wer die Party veranstaltet und oft ist völlig unklar, wer denn da gerade für die Musik sorgt. Das ist auch unwichtig, denn der eigentliche Reiz liegt in der Mischung der Menschen, die sich hier im strahlenden Sonnenschein zum Beat bewegen. Auf der kleinen Holzkonstruktion mit Diskokugel und Regenschutz steht irgendein DJ, der sonst für ein paar hundert Euro in der ganzen Welt auflegt. Es gibt keine Selektion durch Türsteher oder Eintrittspreise, hier tanzt, wer und wie er will und macht den urbanen Raum um eine Attraktion reicher. Als Kind war der Wanderzirkus in der Kleinstadt für mich das Highlight des Jahres. Ich bin mir ziemlich sicher, dass allein die renitente Verweigerung meiner Eltern, der Verlockung von nach Tierschweiß duftenden Zirkusmanegen nachzugeben, meinen heutigen Lebenswandel bestimmt. Die bunten Flyer der Berliner Technowelt sind für mich der Ersatz für die entgangenen Verzückungen der Kindheit. Und deshalb habe ich meine Eltern heute auch belogen. „Wir grillen vielleicht noch“, habe ich sanft in die schwäbische Provinz geflüstert. Von wegen ruhiges Wochenende in Berlin. Was für den einen der Spaziergang, sind für mich diese kommunikativen Stunden bei guter Musik, die meinen Akku für die kommende Woche stärken.

CONSTANTIN HANOV