Besser als Massive Attack

ELECTRONIC Die Berliner Band Jahcoozi hat ein neues Album. „Barefoot Wanderer“ nennt es sich. Im Interview berichten die drei Wahlberliner, wie sie im Vorfeld erst mal Probleme wie Unpünktlichkeit aus dem Weg geräumt haben

„Dass Sashas dauernde Verspätungen nichts mit Respektlosigkeit zu tun haben, musste ich erst lernen“

BASSIST OREN GERLITZ

VON THOMAS WINKLER

Sie ist spät dran. Wie immer. Doch als Sasha Perera dann doch noch auftaucht, wird sie begrüßt. Herzlich irgendwie. „Braun biste geworden“, ruft Robert Koch. „Schwarz, Mann, schwarz“, kontert Perara. Und Oren Gerlitz grinst.

Problem Unpünktlichkeit

Dieser kleine Dialog illustriert zwei Probleme, die Jahcoozi umtreiben. Und auch gleich noch den Umgang, den das Berliner Trio pflegt mit diesen Problemen: Das eine ist die chronische Unpünktlichkeit von Sängerin Perera, das andere der vor allem von den Medien unternommene Versuch, Jahcoozi als multikulturelles Vorzeigeprojekt in eine Schublade zu stecken. Beide Probleme nehmen die in London geborene Perera, der Israeli Gerlitz und der aus dem vergleichsweise schnöden Kassel stammende Koch mittlerweile mit Humor.

Denn das Verpassen von Flügen und Zuganschlüssen hat zwar bislang noch nie zur Absage eines Auftritts geführt, berichtet Beatbauer Koch, „aber ich bin da schon mal ausgeflippt, während Oren damit besser klarkommt, der ist ein entspannter Typ.“ Aber selbst der unter seinen Dreadlocks unerschütterlich gelassen wirkende Bassist musste erst lernen, „dass das keine Respektlosigkeit ist, sondern Sasha eben ein Problem hat“.

Ohne diese Haltung gäbe es Jahcoozi wohl schon längst nicht mehr. Wäre auch schade, denn ansonsten wären der Welt nicht nur die ersten beiden Alben entgangen, auf denen die drei einen verwegen eklektizistischen und international beachteten Patchworkpop entworfen hatten. Kaum zustande gekommen wäre wohl auch „Barefoot Wanderer“.

Gegenmittel Kidnapping

Um die Vollendung ihres neuen Albums sicherzustellen, mussten Jahcoozi allerdings zu dramatischen Methoden greifen. Um es der Frontfrau leichter zu machen, stets pünktlich zu den Aufnahmen zu erscheinen, erzählt Koch, der unter seinem Produzentennamen Robot Koch erst unlängst eine großartige Soloplatte veröffentlicht hat, „haben wir die ganze Band viermal jeweils eine ganze Woche gekidnappt“. Und an die holländische Nordseeküste oder in die menschenleere Ostprignitz entführt. Dort, in „Bieberow“ (Koch) oder „Buberow“ (Gerlitz), in einer Ferienwohnung und fern aller Ablenkung, entstand Unerwartetes.

Denn „Barefoot Wanderer“ ist zwar kein radikaler Stilwechsel, markiert aber doch eine unüberhörbare Neuorientierung. Die bislang geübte Vielfalt drohte spätestens auf dem zweiten Album, „Blitz ’n’Ass“ von 2007, bisweilen in postmoderne Beliebigkeit umzukippen, „der Spagat“, sagt Koch, „war im Rückblick selbst für uns zu groß“.

Also konzentrieren sich Jahcoozi diesmal auf den Dub als Grundkonstante, der bislang zwar stets präsent, aber nie so dominant war. Folge der, so Koch, „bewussten Beschränkung“ ist das Verschwinden der plakativen Rock-Riffs und der Weltmusikeinflüsse, aber auch der HipHop spielt nur noch eine Nebenrolle. „Früher hat uns manchmal die Konzentration gefehlt, wir wollten auch zeigen, was wir alles können“, sagt Koch, „diesen Geist haben wir erfolgreich ausgetrieben.“ Nun ist die Hektik mancher alter Aufnahmen ersetzt durch den ruhigen Fluss des verzögerten Offbeat, durch das „Unaufgeregte, Zeitlupenartige, auch Dunkle des Dub“.

Gegenentwurf Entschleunigung

Jahcoozi haben sich, könnte man sagen, entschleunigt. Die neu gefundene Ruhe ist erst einmal eine Reaktion auf die Aufnahmesituation. Gern erinnert sich Gerlitz, der vor neun Jahren aus Tel Aviv nach Berlin gekommen ist, an die tief hängenden Nebelfelder und die winterliche Brachlandschaft, die im Track „Wasteland“ ihren direktesten Ausdruck gefunden hat. „Unbewusst vielleicht“ aber ist die Verlangsamung auch der Versuch, einen Ruhepol in zunehmend hektischer werdenden Zeiten zu finden. „Es gab kein Internet“, erinnert sich Gerlitz an die Prignitz, „manche hatten noch nicht einmal Handyempfang“.

Die Entschleunigung ihrer Musik als gesellschaftlichen Kommentar zu verstehen sei auf jeden Fall nicht programmatisch beabsichtigt gewesen, sagt Koch: „Aber musikalisch war es schon eindeutig gedacht als Gegenentwurf zu diesem ganzen brachialen Zeug von Ed Banger Records.“ Deren Aushängeschild Justice sind mit ihrem fast schon prolligen Verständnis eines zünftigen Baller-Beats tatsächlich das gerade Gegenteil von dem, was Jahcoozi auf „Barefoot Wanderer“ vorführen. So erfüllen sie das, was Massive Attack bei ihrem Comeback schuldig geblieben sind: Jahcoozi spielen eine erwachsen gewordene elektronische Musik, die im Club ebenso funktionieren kann wie zu Hause. „Wir wollten ein Album machen“, sagt der gelernte Tontechniker Gerlitz, „das wir uns selbst auch an einem Sonntagnachmittag würden anhören wollen.“

Black Barbie vs. Rollenklischees

Ähnliches gilt für die Texte. „Die sind diesmal abstrakter, weniger plakativ, bieten mehr Platz für Interpretationen“, sagt die dafür Verantwortliche. Perera ist in London geboren, ihre Eltern stammen aus Sri Lanka. Der erste Song, den sie für Jahcoozi schrieb, hieß „Black Barbie“, zitierte Santanas „Black Magic Woman“ und thematisierte rassistische und sexistische Klischees. Mit denen sie bis heute zu kämpfen hat: „Wieso singt die keinen R&B? Die soll zurück in ihre Kiste! So was kommt immer wieder.“ Trotzdem sind Pereras Texte heute längst nicht mehr so eindeutig lesbar, aber sie hat nicht umsonst, noch in London, ihren Bachelor in „European Politics“ abgeschlossen. „Was heißt schon politisch?“, fragt sie selbst, „ist es das nicht automatisch, wenn man über die Gesellschaft spricht? Ich kann jedenfalls nicht über Nichts schreiben.“

Nicht nur deshalb wird im Gegenzug gern über sie und ihre Band geschrieben. Denn dass eine britische Sri-Lankerin zusammen mit einem jüdischen Bassisten und einem Produzenten aus Kassel musiziert, hat für eine nicht ganz unerhebliche Presseaufmerksamkeit gesorgt. Im Ausland allerdings, in den USA und Großbritannien, wo Jahcoozi weit häufiger auftreten als in Deutschland, interessiert das keinen. Wozu auch, sagt Perera: „Die Welt ist doch heute so: Alle sind überall.“ Das ist sicher richtig. Nur manche kommen hin und wieder mal zu spät.

■ Jahcoozi: „Barefoot Wanderer“ (Bpitch Control)