Von Nord bis Future: Campus für jeden!

GROSSPROJEKTE Die Berliner Universitäten, täglich werden es mehr, überbieten sich derzeit geradezu an Gründungen – und sie mischen voll mit beim Urban Gardening und beim Locationhype

Ohne einen pompösen „Campus“ läuft heute gar nichts mehr in der Bildung. Die FU bietet sogar eine „Einführung in Campus Management“ an. Während die TU sich mit den Immobilien der AEG im Westen den „Campus Wedding“ schuf und die Hochschule für Technik und Wirtschaft sich mit den Immobilien der AEG im Osten einen „Campus Schöneweide“, riss die Humboldt-Universität ein ganzes, noch halb funktionierendes „Raketenstädtchen“ an sich, das sie „Campus Adlershof“ nannte.

Hinzu kam dann noch ein „Campus Nord“. So heißt nun der Gebäude-Park-Komplex des alten veterinärmedizinischen Instituts der Humboldt-Universität. Hier entsteht ein „integratives Forschungsinstitut für die Lebenswissenschaften“. Darin will man „lebenswissenschaftliche Spitzenforschung“ betreiben. Seltsam: Ende 2012 wurde mit der Teilfusion von Charité und Max-Delbrück-Centrum bereits ein „Berliner Institut für Gesundheitsforschung“ (BIG) gegründet, mit dem ein „international sichtbarer Leuchtturm in den Lebenswissenschaften geschaffen wurde“, wie es hieß. Die Erben des Kriegsgewinnlers Quandt steuerten 40 Millionen Euro bei.

Der „Life Sciences“-Leuchtturm und das „Life Sciences“-Flaggschiff wollen nun aber nicht gegeneinander Wissen schaffen, sondern dabei kooperieren. Der bereits vielgelobte HUB-Campus Adlershof gibt dabei das Schema vor. Es geht auf dem Campus-Nord organisatorisch und theoretisch um die Einheit der Naturwissenschaft (die an der Humboldt scheiterte) und praktisch um „personalisierte Medizin“, also genetisch auf den Kranken zugeschnittene Therapien, wobei die Grundlagenforschung von der molekularen Ebene bis zur medizinischen Arbeit reicht. Dazu müssen „Lösungen für komplexe biomedizinische Probleme“ gefunden werden. Wenn das gelingt, ist nicht nur der „Weg zur Weltspitze nicht mehr fern“, wie einer der Festredner den Anwesenden fest versicherte, sondern auch der Weg der Forschungsergebnisse in die wirtschaftliche Verwertung.

Der „Informationsdienst Wissenschaft“ frohlockte: „In Berlins Mitte wird das Leben erforscht.“ Besser gesagt: das, was vom „Leben“ übrig geblieben ist: Gene, Epigene, Enzyme, Moleküle, Botenstoffe, Proteine … Die Lebenswissenschaften erforschen „nicht mehr das Leben, sondern die Algorithmen des Lebendigen“, wie der Genetiker und Nobelpreisträger François Jacob das nannte.

Üppiges Gewächshaus

Kürzlich wurde auf dem Campus Nord ein üppiges Gewächshaus auf dem Dach des Gebäudes einiger Arbeitsgruppen des Bereichs Biologie und der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät eingerichtet. Unter anderem wird dort ein Professor für Pflanzenphysiologie seine molekulargenetischen Versuche fortsetzen. Er meinte bei der Einweihung: „Mit dem neuen Gewächshaus eröffnet sich außerdem die Möglichkeit, dass alle pflanzenwissenschaftlichen Arbeitsgruppen, die noch verstreut in unterschiedlichen Häusern untergebracht sind, auf dem Campus Nord in einem Gebäude zusammenziehen.“

Die Berliner Universitäten, fast täglich werden es mehr, mischen damit sowohl beim Locationhype wie beim Urban Gardening in der Stadt mit – und überbieten sich dabei geradezu an „Campus“-Gründungen. Die Pressestelle der TU meldete jetzt ebenfalls eine besondere Attraktion: den „TU-Campus Euref“ – mit dem berühmten Schöneberger Gasometer als Mittelpunkt.

In dieses Großprojekt wurde die Uni allerdings mehr gedrängt, als dass sie es begehrte. Es gehört dem einfach nicht zu stoppenden Immobilienentwickler Reinhard Müller. Der Bezirk finanzierte ihm gerade mit EU-Mitteln eine unterirdische Zufahrt zu diesem „Future“-Campus der TU am Stahlgerippe des Gasometerturms. Ein Steglitzer Botaniker schlug vor, „hängende Gärten“ daraus zu machen – für die „Bioverfahrenstechniker“ der TU. HELMUT HÖGE