Die Fülle in der Leere

Das Düsseldorfer museum kunstpalast erinnert an die Anfänge einer Bewegung, die international Wirkung auf die Kunst der Nachkriegszeit haben sollte. ZERO aber war auch ein Lebensgefühl

AUS DÜSSELDORFKATJA BEHRENS

Die ZERO-Bewegung wurde in Düsseldorf im Hinterhof des Hauses an der Gladbacher Straße 69 geboren. Sie revolutionierte die Kunst der Nachkriegszeit mit einer neuen Bild- und Formensprache. Gleich nachdem dort im April 1957 die erste der schon bald legendären Abendausstellungen im Atelier der beiden Künstler Heinz Mack (*1931) und Otto Piene (*1928) stattgefunden hatte, eröffnete die Galerie Alfred Schmela eine Ausstellung mit Werken des Franzosen Yves Klein. Das war eine Art Initialzündung für etwas, das gerade eben begonnen hatte: die Abkehr von der bisher vorherrschenden Innerlichkeit und Narrativität der Nachkriegskunst, von Tachismus und Informel.

Die gestern eröffnete Ausstellung „ZERO. Internationale Künstler-Avantgarde der 50er/60er Jahre“ in der Stiftung museum kunstpalast ist eine großzügig bestückte und mit viel Raum dargebotene Riesenschau in der Geburts- und Heimatstadt einer immer noch international einflußreichen Avantgardebewegung. Sie zeigt annähernd 250 Werke von 45 Künstlern und mit ihnen die spannenden Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Künstlergruppen jener aufregenden Jahre. Es ist, so rechnet Geburtshelfer Heinz Mack vor, die wahrscheinlich 180. ZERO-Ausstellung. Sicher ein Höhepunkt in der Geschichte der Bewegung.

Die Schau erinnert an die Aktivitäten und Visionen, die künstlerischen Statements des Aufbruchs jener Jahre und ihre weltweite Ausstrahlung. ZERO richtete sich gegen alles Expressive, feierte das Ausdruckspotential von Farbe, Licht, Dynamik und Rhythmus, erkannte die Wirkung der Elemente und ihrer stofflichen Gestalt als künstlerisches Medium, erklärte das Serielle zum Prinzip und das monochrome Weiß zum Ausdrucksträger und Symbol der Stille und des Neuanfangs. Die Forderung nach einem Neustart der Kunst, nach einem klaren Schnitt, der sie von der schweren deutschen Vergangenheit trennen sollte, manifestierte sich indes nicht allein in rauchgeschwärzten Bildern oder geprägten Aluminiumblechen, in Lichtzauber und Spiegelungen, auch in poetischen und politischen Schriften und Manifesten, die bereits seit 1958 erscheinen.

„Wir verstanden von Anfang an ZERO als Namen für eine Zone des Schweigens und neuer Möglichkeiten, nicht als Ausdruck des Nihilismus oder einen Dada- ähnlichen Gag. Wir dachten an den Countdown vor dem Raketenstart – ZERO ist die unmeßbare Zone, in der ein alter Zustand in einen unbekannten neuen übergeht“, sagte Otto Piene 1964.

Die Avantgarde öffnete die zweidimensionale Bildfläche in den Realraum hinein und die Kunst für das Leben. So Lucio Fontanas mit seinen scharfen Leinwandschnitten, den „Concetti Spaziali“ oder mit Jan J. Schoonhovens genialen Karton- und Papiermachéobjekten. Die Anthropometrien von Yves Klein hatten ihre Parallele in der Body-Art Kazuo Shiragas. Schoonhovens wandfüllendes Papprelief, 1964 für eine Ausstellung in Den Haag geschaffen, erinnerte an die damals revolutionären Filzstapel von Josef Beuys.

Mit dem programmatischen Verzicht auf Komposition und Hierarchie formulierte die Kunst auch eine in weitestem Sinne politische Haltung. Damit schloss sie sich an die künstlerischen Avantgarden der 1920er Jahre und ihre Utopien an, bündelte und aktualisierte die Ansätze der Russen Kasimir Malewitsch und Wladimir Tatlin. Aber auch des Bauhaus-Lehrers Laszlo Moholy-Nagy oder des deutschen Dadaisten Kurt Schwitters.

Der Düsseldorfer Günther Uecker gehörte seit 1961 als festes Mitglied zu ZERO. Unterschiedliche Impulse in die Gruppierung kamen auch von Piero Manzoni, Jean Tinguely, Arman, Daniel Spoerri, Jesus Rafael Soto, Yves Klein und vielen anderen Künstlern, die heute in Düsseldorf wieder in der Kunst-Arena stehen. Das künstlerische Netzwerk reichte nicht nur europaweit. Die japanische Avantgarde mit der Gruppe GUTAI hatte mit ähnlichen Aktionen wie ZERO seit Anfang der 1950er Jahre auf sich aufmerksam gemacht. Doch obwohl ab 1959 europaweit und bald auch in den USA die ersten institutionellen Ausstellungen folgten, tat sich Düsseldorf, so der ehemalige Leiter der Kunstsammlung NRW, Werner Schmalenbach, schwer mit der neuen Kunst – wie die beiden ZERO-Gründer sich noch heute spöttisch erinnern.

Heute ist die Präsentation dieser Avantgardekunst im museum kunstpalast ein wenig zu museal und voller Ehrfurcht ein kleines bißchen zu sakral geraten. Doch kann man in der unglaublichen Fülle von spiegelnden Bildern und weißen Reliefs, zwischen all den rotierenden Scheiben und flirrenden Folien, den benagelten und gestapelten Objekten, den Autoreifen und Blechdosen, den Lichtsäulen und zerrissenen Papierwänden die frohe Lebensnähe dieser Kunst immer noch spüren.

Das utopische Potential und die Technikbegeisterung – die ZERO mit den russischen Konstruktivisten teilte – wird fast ein halbes Jahrhundert später zu einem anrührenden historischen Phänomen. Dennoch kann die Ausstellung die einstige Aktualität und Brisanz jener Kunst glaubhaft vermitteln: Der resümierende Kommentar von Urvater Otto Piene vor Ort zur Ausstellung: „ZERO lebt.“

Bis 09. Juli 2006Infos: 0211-8996260