Die Knigge-Frage

Darf man in der Öffentlichkeit trinken?

Es war eine laue Sommernacht, ich lief mit einem amerikanischen Freund durch die Berliner Straßen. Wir flanierten von Spätkauf zu Spätkauf, tranken ein Bier nach dem anderen, erzählten uns Geschichten, schwiegen oder beobachteten die anderen Passanten. Irgendwann sagte mein amerikanischer Freund: „Das ist die totale urbane Freiheit hier. Man muss sich nicht in irgendwelchen überteuerten und rammelvollen Bars treffen, um ein Bier miteinander zu trinken. Nein, man ist in einem Park, läuft durch die Straßen, ist unten am Fluss oder sitzt einfach nur entspannt auf einer Bank. Und keiner schaut einen komisch an, alle, ganz egal zu welcher sozialen Schicht sie gehören, trinken einfach in aller Seelenruhe ihr Bier.“

Gewiss könnten Sie nun sagen, dass mein amerikanischer Freund ein hoffnungsloser Bierromantiker ist. Denn es gibt natürlich auch die Schattenseiten des öffentlichen Trinkens: aggressiv besoffene Männercliquen, die lallen und rumpöbeln; angetrunkene Junggesellinnen, die einen mitten auf der Straße überfallen und geküsst werden wollen; und dann sind da auch noch all die zerbrochenen Bierflaschen, die dem Fahrrad einen Platten bescheren.

Die Frage, die sich stellt, ist doch: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wollen wir wirklich, dass unsere Straßen ordentlich, ruhig, steril und von allen Zwischentönen gesäubert sind? Und wollen wir diejenigen, die sich kein Bier in einer Kneipe leisten können, vor ihre Fernseher oder an irgendwelche abgelegenen Orte verbannen? Nein, mein amerikanischer Freund hat recht: Das sogenannte Laufbier macht unsere Straßen lebendig, das Trinken in der Öffentlichkeit ist eine urbane Freiheit, die man gegen alle bürgerlichen Moralapostel verteidigen sollte. ALEM GRABOVAC

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