Wo noch die Schreibmaschine herrscht

Sehen statt erleben, konservieren statt konsumieren: Das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven will kein Erlebnis-Museum sein. Sondern einen historischen Auftrag erfüllen. Jetzt bekommt es mehr als eine Million Euro aus dem klammen Bremen, um die 30 Jahre alte Sammlung zu modernisieren

aus BremerhavenJAN ZIER

Das metallische Klicken der farbigen Lämpchen erinnert an eine Zeit, in der es auch noch Leuchtturmwärter gab. Und Schreibmaschinen. „Morphologische Seezeichentechnik der Aussenweser“ steht in dem Schaukasten geschrieben. Stand: 1967. Daneben ein Monitor, eine Computermaus. Sie sind in Plastik verhüllt. Und nichts lässt vermuten, dass sich das in nächster Zukunft ändern könnte.

„Wir sind kein Event-Unternehmen“, wird Lars Scholl dann sagen, der Direktor des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM). „Und wir sind nicht auf kurzfristige Effekte aus.“ Auch mit der „Computerei“, wie er das nennt, hat er es nicht so sehr. „Den Spieltrieb, den die Leute zu Hause am PC ausleben, wollen wir hier nicht noch mal bedienen.“ Man habe schließlich einen „seriösen“, einen „historischen“, einen „nationalen“ Auftrag. Die ganze deutsche Schifffahrtsgeschichte soll hier in Bremerhaven versammelt werden. Und ausgestellt. Und erforscht. Denn das DSM ist nicht nur ein schnödes Museum. Sondern Forschungsinstitut der Leibniz-Gemeinschaft. „Das setzt natürlich den Möglichkeiten eines Events gewisse Grenzen. Und die wollen wir auch einhalten.“

Zurück in die Schule

Zum Beispiel beim „Hochdruckzylinder mit Steuerung“, der sich im Tiefgeschoss des Scharoun-Baus wiederfindet, weithin hörbar quietschend. Die beigefügte technische Zeichnung erklärt wissenschaftlich korrekt die Funktionsweise, weckt Erinnerungen an den Physikunterricht. Und an Großmutters altes Lexikon, so verblichen ist der Zettel schon. Wenigstens ist er nicht mit der Schreibmaschine abgetippt, wie all die anderen hier. Noch nicht, möchte man hinzufügen.

Doch Lars Scholl wehrt sich gegen den Vorwurf, veraltet zu sein. Und „keineswegs“ kämen nur ältere Herrschaften. Da mag das Panorama-Café noch so sehr den Duft eines Altenheims atmen. „Auch in den anderen Jahrgängen sind wir gar nicht so schlecht aufgestellt“, beteuert Scholl. 172.000 BesucherInnen zählte das DSM im vergangenen Jahr. Zu Gründungszeiten, vor dreißig Jahren, kamen noch doppelt so viele. Aber seinerzeit gab es im Umkreis gerade mal 120 Museen. Heute sind es 650. Und auch Wilhelmshaven und Cuxhaven, Kiel und Nordholz haben jetzt Schifffahrtsmuseen. „Zum Teil unter Kopie dessen, was wir hier haben“, betont Scholl. Und verweist auf seinen Fundus, auf 200.000 Fotos, 30.000 Objekte, 80.000 Titel in der Bibliothek.

Und auf die Hansekogge von 1380. Ein in jahrzehntelanger Kleinarbeit konserviertes Wrack. Die Keimzelle des Museums. Und Scholls ganzer Stolz. „Sie gibt uns ein Alleinstellungsmerkmal in der Welt.“ Ein durch seine schiere Größe beeindruckendes Schiff. Eines, das eine Geschichte hat. Aber sie dem Besucher nicht erzählt. Einst ist es in den Nahen Osten gefahren. Oder nach Afrika. Heute identifiziert man mit seiner Hilfe Darstellungen von mittelalterlichen Schiffen. 65 an der Zahl. So freut sich ein ordentlicher Professor für Schifffahrtsgeschichte.

Auch aus Bremen gab es dieser Tage gute Nachrichten. Hat doch der dortige Senat entschieden, den größten Teil seiner Fördergelder für Kultur an das Schifffahrtsmuseum zu geben. 1,1 Millionen Euro. „Das ist nicht viel Geld“, findet Scholl – im Vergleich zum Bremer Überseemuseum. Dem habe man mal eben 2,1 Millionen Euro „rübergeschoben“, ereifert sich der Direktor ein wenig. „Alles Geld aus den nicht vorhandenen Mitteln für die Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2010.“ Vielleicht, sinniert er, hätte er es leichter, stünde sein Museum in Bremen. Vielleicht.

Mit dem Geld aus Bremen baut das DSM jetzt ein neues Projekt auf, „Windjammer – Mythos und Realität“ mit Namen. Scholl engagierte dafür den Ausstellungsmacher Andreas Heller, der auch für das viel gepriesene, nebenan gelegene Auswanderhaus verantwortlich zeichnet. Zentrales Exponat soll die „Preußen“ werden, ein 1902 in Bremerhaven gebauter Windjammer. Zu besteigen wird er nicht sein: Die „Preußen“ ist 1910 im Kanal untergegangen. Von einem Dampfer gerammt, der die Geschwindigkeit des Segelschiffes unterschätzt hatte.

Der Fluch der Besucher

Aber Scholl will ja auch kein Museum zum Anfassen machen. Kein „Science Center“ sein, wie das Universum in Bremen. „Das ist der Fluch einer Institution, die so viele Besucher hat wie wir. Wir müssen das Meiste hinter Glas bringen, weil es sonst zerstört wird“. Das werde sich auch in der neuen Ausstellung kaum vermeiden lassen.

Vermieden werden aber auch die Bezüge zur gegenwärtigen Schifffahrt, zur Arbeit auf See unter Billigflaggen, die den Lohn drücken, zu den Zeiten der vollautomatisierten Häfen. Nur in einer Ecke findet sich ein halber Schiffscontainer, darin ein paar Kartons mit Fernsehern, in Singapur produziert. Dazu ein Video. Das erzählt dem Besucher, wie die Kiste in den Karton, der Karton in den Container und der Container ins Schiff kommt. So viel zur Globalisierung.

„Es sollen Geschichten erzählt werden, durch die sich der Besucher auch angesprochen fühlt, weil er auf gleicher Augenhöhe ist“, sagt Scholl – und erzählt von einer neuen Ausstellung rund um Kap Horn. „Wir wollen, dass man die Geschichte auch richtig an sich selber spüren kann.“

Das gelingt am Ende nur ein einziges Mal. Wenn der Besucher an einer Reling steht, mit Blick auf das offene Meer. Ein Film versetzt ihn an den Bug eines Schiffes, fünf Meter hoch schaukeln sich die Wellen auf. Nur hin und wieder taucht der Horizont auf. Ein Wellental folgt dem nächsten, unbeirrt pflügt das Schiff durch den Ozean. Der Geruch des Plastik ersetzt den der rauen See. Und schützt vor Seekrankheit.