„Ich bin nicht überempfindlich“

Johannes Spatz

„Ich bin ein Achtundsechziger, ein Antiautoritärer. Und ich bin auch für legalen Cannabiskonsum. Aber beim Rauchen fordere ich Verbote, weil es eine Gesundheitsgefahr ist, der man sonst nicht entrinnen kann“

Ein Korb voll ausgedrückter Zigarettenkippen steht in seinem Büro. Zum Start der Kampagne „Rauchfrei in Friedrichshain-Kreuzberg“ hat Johannes Spatz (63) auf der Warschauer Brücke Rauchern einen Deal angeboten: Obst gegen Fluppe. Den Tabakkonsum bekämpft Berlins engagiertester Nichtraucher schon seit Jahrzehnten, seit zwei Wochen im Auftrag der Kreuzberger Gesundheitsstadträtin. Der Arzt Spatz kam nach mehreren Jahren als Entwicklungshelfer im Jahr 1980 nach Berlin. Seitdem hat er in mehreren Bezirken Präventionsarbeit gemacht, mal als Stadtrat, mal als Stabsstellenleiter. Ehrenamtlich engagiert er sich im „Forum Rauchfrei“ gegen den Qualm

INTERVIEW FELIX LEE
UND CLAUDIUS PRÖSSER

taz: Herr Spatz, haben Sie schon mal geraucht?

Johannes Spatz: Als 15-Jähriger habe ich ein halbes Jahr lang geraucht, aber sehr schnell festgestellt, dass ich meine Leistungen im Schulsport nicht mehr schaffe. Dass ich dann noch aufhören konnte, war mein großes Glück. Die meisten sind nach einem halben Jahr abhängig.

Aber geschmeckt hat es Ihnen?

Nein. Das war mehr eine Imitation der Erwachsenen. Ich wollte es halt auch mal ausprobieren.

Können Sie denn nachvollziehen, dass Raucher ihre Zigarette genießen?

Auch das nicht. Mit Genuss hat Rauchen nichts zu tun. Es ist eine Sucht, die zur Gewohnheit wird. Die meisten wollen ja aufhören und schaffen es nicht.

Wie sah denn Ihr Erstkontakt mit dem Tabak aus?

Den hatte ich schon sehr früh, als Passivraucher. Mein Vater, der es als Arzt eigentlich hätte besser wissen müssen, steckte sich immer nach dem Mittagessen vor seinen sechs Kindern eine Zigarre oder eine Pfeife an. Mein erster aktiver Kontakt war ein Zigarillo, den ich einem Lehrer im Landschulheim geklaut hatte. Ich bin regelrecht durch den Wald getaumelt, so stark war die Wirkung.

Und welches Schlüsselerlebnis hat Sie zum Nichtraucheraktivisten gemacht?

So ein Erlebnis gab es nicht. Das war eine absolut rationale Entscheidung. Wenn Sie sich als Arzt auf Prävention spezialisieren, fragen Sie sich: Was lohnt sich am meisten? Und da steht das Rauchen an erster Stelle. Es gibt keine Sucht, mit deren Verhinderung man so viel Leben retten kann. An Heroin sterben in der Bundesrepublik 2.000 Menschen im Jahr, am Alkohol 40.000, am Tabak 140.000. Weltweit sind es Millionen.

Wann fing ihr Engagement gegen das Rauchen an?

In den 80er-Jahren, damals war ich als Stadtrat in Wilmersdorf für den Gesundheitsbereich zuständig. Dort hatten wir 1987 Berlins erstes rauchfreies Gesundheitsamt. Später habe ich in Bremen für die Gesundheitssenatorin gearbeitet, die habe ich mal geärgert, indem ich ein Anti-Rauch-Poster auf dem Flur aufhängte. Aber erst in Berlin habe ich mich aktiv für rauchfreie Räume eingesetzt.

Gibt es in Ihrem engeren Freundeskreis noch Raucher?

(überlegt) Nein.

Weil Sie die schneiden?

Nicht doch. Ich bewerte Menschen nicht danach, ob sie rauchen. Aber ich achte schon darauf, dass ich bei geselligen Anlässen nicht neben Rauchern sitze. Das ist mir einfach unangenehm, wenn die Klamotten nach Rauch stinken. Deshalb gehe ich auch kaum noch in Kneipen.

Hat man Ihnen schon mal vorgeworfen, dass Sie zimperlich sind?

Nicht wirklich. So empfindlich reagiere ich in den konkreten Situationen ja auch nicht. Hin und wieder gehe ich sogar in Restaurants essen, wo geraucht wird. Aber dann spreche ich es auch an.

Sie sprechen den Raucher an?

Nein, das Personal. Rauchern biete ich manchmal an, sich auf meine Kosten einen Saft zu bestellen, wenn sie ihre Kippe ausmachen.

Und das klappt?

Bisher noch nie (lacht).

Eigentlich müssten Sie zufrieden sein: Das Rauchen ist doch auf dem Rückzug.

Das stimmt, und zwar unabhängig von Aktivitäten wie unseren. Wir sind nur Beschleuniger dieses Prozesses. Zumindest in den Industrieländern wächst das Bewusstsein für die Gefahren des Rauchens. Und immer wenn anderswo das Rauchen in Gaststätten verboten wird – wie zuletzt in Irland oder Italien – heißt es: Hier muss auch endlich was passieren. Bloß dass nichts passiert.

Warum eigentlich nicht?

Darüber hat sich auch die Tabakindustrie Gedanken gemacht. Sie spricht stolz von einem „dritten Weg“ und meint das enge Netzwerk zwischen Politik, Industrie und Wissenschaft, das sie geschaffen hat. Sie umgarnt die Politiker durch Sponsoring, durch Spenden, durch exklusive Veranstaltungen. Kein Wunder, dass die Beißhemmungen haben. Nur deshalb gibt es hier weder ein Rauchverbot in Gaststätten oder Krankenhäusern noch ein Verbot von Zigarettenautomaten. Nirgendwo finden Sie so viele Zigarettenautomaten wie in der Bundesrepublik: Es sind über 600.000.

Aber wird denn in Ländern mit strengeren Gesetzen wirklich weniger geraucht?

Nehmen Sie Kalifornien, wo mit staatlicher Unterstützung sehr aggressive Aufklärungskampagnen gefahren werden. Dort rauchen 25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, bei uns sind es 33. Und für Italien ist belegt, dass es ein Jahr nach dem Rauchverbot in Gaststätten 500.000 Raucher weniger gibt.

Wenn man den Tabakkonsum drastisch reduziert, rücken dann nicht andere Suchtmittel in den Vordergrund?

Ich kenne keine wissenschaftlich belegte Theorie, die besagt: Wenn weniger geraucht wird, wird mehr getrunken. Es gibt doch auch viele Möglichkeiten, Freude und Genuss zu haben. Dazu braucht man keine Sucht.

Haben Sie keine Problem damit, so stark auf Verbote und Kriminalisierung zu setzen?

Ich bin ja auch ein Achtundsechziger, ein Antiautoritärer. Aber beim Rauchen bin ich für Verbote, weil es eine Gesundheitsgefahr ist, der man sonst nicht entrinnen kann. Ich will nicht das Rauchen an sich verbieten. Ich bin auch für legalen Cannabiskonsum. Aber auch Verkehrsregeln sind Verbote. Würden Sie die außer Kraft setzen, gäbe es ein Chaos. So ähnlich ist das mit dem Tabakkonsum. Da fordere ich klare Spielregeln.

Nämlich?

Zum einen sollte Rauchen richtig teuer werden, wie in Norwegen oder England. Da kosten Zigaretten fast doppelt so viel wie hier, und besonders bei Jugendlichen ist dort die Rate der Raucher gering. Wichtig sind Rauchverbote in öffentlichen Räumen. Wichtig ist vor allem auch, dass die Werbung aus dem Straßenbild verschwindet. Die meisten werden in ihren Jugendjahren zu Rauchern. Auf Jugendliche hat Werbung eine viel stärkere Wirkung als auf Erwachsene.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung macht aber auch Anti-Raucher-Kampagnen.

Das ist doch Eiapopeia. Die Motive, die da verwendet werden, wirken oberflächlich oft wie Werbung für das Rauchen. Kein Wunder – wenn die Tabakindustrie diese Kampagnen finanziert und sogar vertraglich fixiert, dass die Tabakkonzerne und ihre Produkte nicht diskriminiert werden dürfen. Wozu sonst soll denn so eine Kampagne gut sein?

Nach unserer Wahrnehmung hören aber tatsächlich viele Erwachsene früher auf zu rauchen.

Das stimmt nur bedingt. Es rauchen zwar weniger Männer, aber dafür nimmt die Quote bei Frauen zu. Genauso wie die Zahl der Todesfälle bei Frauen durch Lungenkrebs. Hinzu kommt die wachsende soziale Ungleichheit.

Das müssen Sie erklären.

Eine Statistik des Robert-Koch-Instituts hat gezeigt, dass 40 Prozent der Hauptschüler rauchen, aber nur 10 Prozent der Gymnasiasten im gleichen Alter.

Wieder ist die Hauptschule schuld.

Aber sicher: Es ist die Bildung, das Einkommen, der Status. Rauchen ist auch ein soziales Problem. Kein Wunder, dass die arme Stadt Berlin auch die Hauptstadt des Rauchens ist.

Wie bewerten Sie denn die Situation für Nichtraucher in Berlin?

Verheerend. Kein Bundesland hat relativ gesehen so viele Raucher und so wenig rauchfreie Räume. Nur ein Beispiel: Von den Krankenhäusern in der Stadt sind nur zwei völlig rauchfrei. Dass im Chirurgie-Foyer des Virchow-Klinikums geraucht wird, ist ein Unding.

Und das Aktionsprogramm „Berlin qualmfrei“ von Senat und Bezirken?

Das enttäuscht mich besonders. Ich habe mich sehr für dieses Programm eingesetzt, aber es begnügt sich mit Kampagnen und scheut die strukturelle Seite. Dabei könnte man so viel tun. Man könnte prüfen, ob die Arbeitsstättenverordnung eingehalten wird, die rauchfreie Arbeitsplätze vorschreibt. Man könnte die Krankenhausverordnung verändern. Man könnte auch die Genehmigungen für das Aufstellen von Zigarettenautomaten reduzieren. Aber das passiert nicht.

Die Teilnahme von Landesbischof Wolfgang Huber bei einer Veranstaltung des Verbands der Cigarettenindustrie (VdC) haben Sie auch skandalisiert.

Das war die jüngste Aktion des Forums Rauchfrei. Der VdC hatte Huber und den katholischen Prälat Karl Jüsten zu einem „Spree-Gespräch“ mit dem Motto „Freiräume“ eingeladen. Huber als Redner, Jüsten als Moderator. Wir haben uns als Kleriker verkleidet und am Eingang Gäste angesprochen – mit einem Kreuz aus zwei riesigen Zigarettenkippen in der Hand. Huber selbst ist wohl durch die Tiefgarage ins Gebäude gelangt.

Wurde das Kippen-Kreuz nicht als Blasphemie empfunden?

Von einigen vielleicht, von mir nicht. Ich bin auch nicht gläubig. Aber ich bin empört, dass sich die Kirche auf die Seite der Tabakindustrie schlägt. Immerhin ist sie eine meinungsbildende moralische Kraft in der Republik.

Haben Sie für Ihre Aktionen schon mal so richtig Kontra bekommen?

Bedroht fühle ich mich nicht, wenn Sie das meinen – auch wenn es Anti-Tabak-Aktivisten gibt, die schlimm verfolgt wurden. Aber natürlich legen es Leute auf mich an. Ich war ja bis vor kurzem für die Gesundheitsstadträtin von Steglitz-Zehlendorf tätig. Die Stelle wurde eingespart – auf Anregung der FDP. Sie hat die Dienststelle „Gesundheit 21“, die ich dort aufgebaut habe, als „ideologische Propagandaeinheit“ bei der grünen Stadträtin Anke Otto denunziert.

Was hatten Sie denn verbrochen?

Wir hatten eine Kampagne gegen jugendorientierte Zigarettenwerbung gemacht, die in einem Fall vor Gericht endete. Die Firma musste daraufhin bundesweit eine ganze Plakatserie abhängen. Das hat mir die FDP verübelt.

Apropos Parteien: Sind Sie noch bei den Grünen aktiv?

Ich bin kurz vor dem Absprung. Mit dem Thema Rauchen hat das aber nichts zu tun. Mich hat sehr gefreut, dass sich Claudia Hämmerling so für rauchfreie Schulen engagiert hat. Da liegen meine Enttäuschungen woanders. Dass die grüne Partei Kriegseinsätze befürwortet, dass sie Hartz IV mitgetragen hat.

Nervt Sie eigentlich manchmal, dass Sie immer nur als Anti-Raucher wahrgenommen werden?

Sicher. Mein Leben besteht doch nicht nur aus Zigaretten.