Champagner hebt

Hardy Krüger ringt mit der weißen Leinwand: Die Ausstellung „Sexy Mythos“ in der NGBK verfolgt Selbst- und Fremdbilder von KünstlerInnen

VON HARALD FRICKE

Einmal im Monat bekommt er eine Kiste Champagner von seiner Galerie. Keine Frage, Daniel Richter ist nicht nur ein international bekannter Künstler, er hat es zudem geschafft, dass man Geschichten über ihn erzählt, die nicht unwesentlich zu seinem Ruf als Malerfürst beitragen. Wo aber der Lebenswandel zur Legende geworden ist, gerät der künstlerische Erfolg oft zum Selbstläufer. Sammler jedenfalls freuen sich über solchen Glamour, der sich prestigefördernd in den gekauften Werken spiegelt. So weit das alte Spiel, das den Marktwert über Aufmerksamkeit definiert.

Von Richters triumphalem Werdegang sind die Künstler und Künstlerinnen der Ausstellung „Sexy Mythos“ in der NGBK allerdings weit entfernt. Schließlich geht es hier nicht um Ausnahmen, sondern um Feldarbeit: Wie sehen „Selbst- und Fremdbilder von Künstler/innen“ aus, wenn 95 Prozent von ihrem Beruf nicht leben können? Und warum haben sich Mythen wie Geniekult oder gesellschaftliches Außenseitertum überhaupt angesichts der miesen ökonomischen Wirklichkeit gehalten?

Dass man diesen Zuschreibungen nicht über den Weg trauen darf, zeigt gleich am Eingang die Videoarbeit „I am“ von Christoph Girardet und Volker Schreiner. Aus zahllosen Kinofilmen haben sie beliebte Klischeebilder vom Künstlersein zu einem Loop montiert. Hardy Krüger ringt mit der weißen Leinwand, Nick Nolte wischt sich Farbreste aus dem Bart, Nicolas Cage wartet ermattet auf den Kuss der Muse. Bei Girardet und Schreiner hat der Mythos sich durch massenmediale Verwertung abgenutzt, sind die vermeintlichen Exzentriker nur mehr Stereotypen: Skurrilitätsdarsteller.

Das ist keine überraschende These, hatte doch bereits Dan Graham in den Siebzigerjahren analysiert, wie Kirk Douglas in der Rolle von Vincent van Gogh am Ende echter als das Original war. Dagegen setzt „I am“ auf Ironie: In der unentwegten Abfolge aus Versatzstücken und Gemeinplätzen entsteht plötzlich ein Künstlerideal, das immer schon Fiktion war.

Martin Kippenberger nahm dieses Rollenspiel durchaus ernst. Mit seinen Selbstporträts hat er sich bis zu seinem Tod 1997 auf Postern, Einladungskarten und Katalogeinbänden ständig neu erfunden – und dabei ausgiebig Vorbilder aus dem Fundus der Kunstgeschichte kolportiert. Mal nimmt er die Pose der Olympia von Edouard Manet ein, mal imitiert er Picasso in Unterhosen oder stellt unter einem Riesenhirschskelett die entsprechende Joseph-Beuys-Ikone nach, um sogleich dessen Leitspruch „Kunst = Kapital“ in „Miete, Strom, Gas“ umzuwidmen. Der Kalauer ist für Kippenberger stets ein willkommener Nebeneffekt; viel mehr jedoch interessiert ihn, ob und wie sich aus dem Patchwork der Berühmtheiten der schwache Widerschein einer Künstler-Aura herausschälen lässt.

Sosehr die Idee vom „Sexy Mythos“ mit den Charaktermasken à la Kippenberger an Fahrt und Witz aufnimmt, wird sie schon im nächsten Augenblick abgebremst. Sybille Zeh ist es ernst mit der Repräsentation, ihr „Künstlerinnenlexikon“ dekliniert die weitgehende Abwesenheit von Frauen im Kanon der Kunst durch. Als Beispiel dient Zeh eine 1979 bei Reclam erschienene Enzyklopädie, in der sie sämtliche Einträge zu männlichen Kollegen weiß übertüncht hat. Das Ergebnis liegt als Objekt in einer Vitrine aus, nebenan blättert Zeh im Video durch das Buch, in dem zwischen lauter Leerstellen die versprengten Namen von Hanne Darboven oder Marie-Jo Lafontaine als karge Inseln einer weiblichen Selbstbehauptung auftauchen.

Tatsächlich geht die Konfrontation auf, mit der Kippenbergers Ermächtigungsgestus und die Forderung nach mehr Anerkennung für Frauen im Kunstbetrieb aufeinander prallen. Doch nach diesem Coup verliert sich die Spannung rasch: Eine eher oberflächliche Recherche von Antje Schiffer informiert über die Situation im Sozialismus, als lange Haare, lange Bärte und Verweigerung wichtiger waren als irgendwelche Werke; Kai Kaljo aus Estland darf in einer Fotostrecke darüber klagen, dass der spärliche Verkauf von Videokunst kaum die Kosten bei der Produktion deckt; Annette Hollywood nimmt eine TV-Soap als Beleg für die ausweglose Lage – viel Konzept und wenig Käufer.

Interessanter ist da schon eine Dokumentation, für die Doris Berger und Moira Zoitl in Berlin lebende Künstlerinnen zu ihrem Berufsbild befragt haben. So erfährt man von Monica Bonvicini, dass sie ohne den Boom der Gender-Theorie in den Neunzigerjahren wohl kaum eine Chance auf dem Markt gehabt hätte. Den hellsichtigsten Beitrag in dem knapp einstündigen Video liefert indes Johanna Kandl. Als Künstlerin hat sie sich nie für Körper, Identität oder andere Schablonenbegriffe von Weiblichkeit interessiert – das war für sie immer so ähnlich wie die Vorstellungen von einem angeblich größeren Naturbezug bei Kunst aus Afrika. „Warum sollten sich Afrikaner nicht mit abstrakten Quadraten beschäftigen?“, fragt Kandl ein wenig mürrisch in die Kamera und man weiß, sie hat Recht. Einerseits. Aber andererseits, welcher afrikanische Künstler bekommt von seinem Galeristen in Paris, London oder New York schon monatlich eine Kiste Champagner geschickt?

Bis 21. Mai, täglich 12–18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25.