Doch wieder eine Jahrhundertflut

Zum Besuch der Kanzlerin meldete Hitzacker in Niedersachsen einen neuen Rekordpegel. Und auch der könnte bald wieder Geschichte sein. Denn der Klimaexperte von Greenpeace rechnet für die Zukunft öfter mit extremen Wasserständen der Elbe

VON STEPHAN KOSCH

Das Wasser steht so hoch wie nie: Im niedersächsischen Hitzacker legte der Elbpegel auf 7,63 Meter zu. Ein historischer Höchststand, der den von 1895 übertrifft: Damals wurden 7,54 Meter und vor vier Jahren 7,51 Meter gemessen. Die Innenstadt stand komplett unter Wasser; fast alle Zufahrtsstraßen waren gesperrt.

So musste sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) per Hubschrauber einen Überblick über die Situation verschaffen. Gemeinsam mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulf (CDU) besuchte sie gestern Hitzacker und Umgebung. Ihr erster Eindruck danach: „Das Ausmaß wirkt außerordentlich bedrohlich.“

Doch nicht nur Hitzacker verzeichnete neue Wasserhöchststände: Auch Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern meldete einen Rekordpegel von 6,73 Meter – 3 Zentimeter höher als der bisherige Rekord im Jahr 1895. Besonders dramatisch war die Lage in Lauenburg in Schleswig-Holstein. Dort stieg die Elbe auf über 9 Meter.

Das alles nur fast vier Jahre nach der letzten so genannten Jahrhundertflut an der Elbe. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt, dass die häufigen Überschwemmungen ein weiterer Beleg dafür seien, dass der Klimawandel bereits begonnen hat. „Der nasse Winter des Jahreswechsels 2005/2006 ist ein Vorbote einer langfristigen Änderung des Wettergeschehens in Deutschland“, erklärte Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid gestern. Nach den Szenarien der Klimaforscher würden in Deutschland die Niederschläge im Winter um bis zu 30 Prozent zunehmen. Extreme Wasserstände der Elbe werden also öfter auftreten als in der Vergangenheit, meint Smid. Neben langfristig wirkenden Maßnahmen gegen den Klimawandel, wie der Minderung des Kohlendioxidausstoßes, müsse deshalb auch Flüssen durch Deichrückbau mehr Raum gegeben und müssten Flutpolder ausgewiesen werden.

Auch andere Umweltexperten kritisierten die Hochwasserschutz-Politik der Länder. „Aus der Flut 2002 ist zu wenig gelernt worden. Deiche wurden saniert, doch kaum vorbeugende Maßnahmen getroffen“, sagte die Hochwasser-Expertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Doris Eberhardt, der Welt am Sonntag.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Umweltministerium Michael Müller kritisierte, dass die Länder die ursprünglich im neuen Hochwasserschutzgesetz vorgesehenen vorbeugenden Maßnahmen verwässert hätten. Eine Mitschuld der Länder und Kommunen an der aktuellen Situation sieht auch der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Er sagte, dass nach 2002 zu wenig auf hochwassergerechte Bebauung in den gefährdeten Gebieten geachtet worden sei. „Hätten sie die Bebauungsvorgaben angewandt, die später im Hochwasserschutzgesetz beschlossen wurden, wären manche Probleme der aktuellen Flut vermeidbar gewesen“, sagte Trittin. mit Agenturen

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