Platzeck will anderen Sozialstaat

Nach Jahren lustloser Debatten will die SPD nun endlich Ernst machen mit einem neuen Grundsatzprogramm, das die Berliner Beschlüsse von 1989 ersetzt. Statt Sozialleistungen will der Parteichef Bildung und Infrastruktur in den Mittelpunkt stellen

VON RALPH BOLLMANN

Die SPD startet abermals den Versuch, ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten. Am heutigen Montag will sich Parteichef Matthias Platzeck vom Präsidium seine fünfzehnseitigen „Thesen“ für die Programmdebatte absegnen lassen. Darin fordert Platzeck die Abkehr vom „Sozialstaat alter Prägung“, den es durch einen „vorsorgenden Sozialstaat“ zu ersetzen gelte. Als Vorbild nannte Platzeck in einem Beitrag für das Magazin Spiegel die skandinavischen Länder.

Das überkommene Sozialstaatsmodell sei auf „die Wirklichkeit national begrenzter Industriegesellschaften“ zugeschnitten, schreibt Platzeck in dem Artikel. Es entspreche überdies einem Gesellschaftsmodell, in dem „die Männer das Familieneinkommen erwirtschaften“. Der überkommene Sozialstaat setze „Fehlanreize“ und sei „gemessen an seinen Ergebnissen zu teuer“.

Statt lediglich „nachsorgende Ziele“ zu verfolgen, müsse der Staat künftig stärker auf „zeitgemäße Bildung und Aktivierung“ setzen. Das erfordere „deutlich mehr öffentliche Investitionen in soziale Dienstleistungen, in Bildung und Wissen, in Innovation und Infrastruktur“. Deutschland brauche „einen besseren, einen handlungsfähigen und zupackenden Sozialstaat“.

Den neuen Anlauf in der Programmdebatte will Platzeck gleich nach der Osterpause mit einem SPD-Kongress in Berlin eröffnen. Als Redner sollen dort neben Platzeck selbst die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, der evangelische Bischof Wolfgang Huber, der Schriftsteller Bernhard Schlink und der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel auftreten. Im Anschluss soll die neue Kommission unter Platzecks Leitung bis Anfang nächsten Jahres einen Programmentwurf vorlegen. Die Verabschiedung des Programms ist für den nächsten regulären Parteitag geplant.

Mit ihren Programmdebatten hatte die SPD in den vergangenen Jahren wenig Glück. Das derzeit gültige „Berliner Programm“, noch vor dem Fall der Mauer erarbeitet, galt bereits bei seiner Verabschiedung im Dezember 1989 als veraltet. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder versuchte gleich nach seinem Amtsantritt als Parteivorsitzender 1999, mit dem „Schröder-Blair-Papier“ in der Programmdebatte neue Akzente zu setzen. Als er damit aufgelaufen war, delegierte er die Debatte an eine Programmkommission unter dem Vorsitz des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping.

Erst einige Zeit nach Scharpings erzwungenem Abgang als Minister übernahm dann der als Generalsekretär eher glücklos agierende Olaf Scholz die Kommissionsarbeit. Mit der provokativen Forderung, den Begriff des „demokratischen Sozialismus“ aus dem Programm zu streichen, verärgerte er allerdings die Parteilinke so sehr, dass die Debatte gleich wieder zum Erliegen kam. Ein neuer Anlauf unter Parteichef Franz Müntefering fiel dann vor knapp einem Jahr der Ankündigung vorzeitiger Neuwahlen zum Opfer.

Auch die politische Konkurrenz von der CDU plagt sich derzeit mit der Debatte um ein neues Grundsatzprogramm, das ebenfalls Ende 2007 verabschiedet werden soll, auch die CSU arbeitet an neuen Leitlinien. Mehr noch als die SPD ringt die Union um ihre programmatische Ausrichtung, seit sie mit einem scharf wirtschaftsliberalen Programm bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst ein unerwartet schwaches Ergebnis eingefahren hatte.