„Politik ist ein mörderisches Geschäft“

Der Bochumer Parteihistoriker Bernd Faulenbach über die hektischen Personalwechsel an der SPD-Spitze

taz: Herr Faulenbach, erneut hat die SPD ihren Vorsitzenden verloren? Hat Sie Platzecks Rücktritt überrascht?Bernd Faulenbach: Zweifellos. Ich habe vor einigen Wochen mit einem Parteifreund gesprochen, der sagte, Matthias Platzeck habe in einem Fernsehinterview gesundheitlich angeschlagen gewirkt. Ich hatte dieses Interview nicht gesehen, wusste aber von seinem Hörsturz. Ich bedaure den Rücktritt sehr. Platzeck war ein SPD-Chef, der auf Leute zugehen konnte und für Sachpolitik stand.

Halten Sie die Gesundheit als einzigen Rücktrittsgrund für plausibel? Warum hört Platzeck als Parteichef auf, bleibt aber Ministerpräsident in Brandenburg?Ich halte das für plausibel. Dieses aktuelle Beispiel zeigt, dass Politik für die Spitzenakteure ein mörderisches Geschäft ist. Politische Gründe sehe ich nicht. Heftigere Auseinandersetzungen hinter den Kulissen hat es nach meinem Kenntnisstand nicht gegeben.

Dennoch steckte die SPD unter Platzeck in der Krise. In Umfragen liegt die Partei teils unter 30 Prozent. Dennoch würde ich ausschließen, dass Matthias Platzeck deshalb zurücktreten würde. Der Bundesvorsitzende hat sich engagiert in die Programmarbeit eingebracht und schnell Fuß gefasst. Und das Auf und Ab in den Umfragen kennen wir im Grunde genommen seit den 1970er Jahren.

Was sagen Sie als Parteihistoriker zu den immer schnelleren Rücktritten von SPD-Vorsitzenden.Das ist natürlich keine gute Sache. Die SPD hat zu wenig Kontinuität. Aber die Zeiten von August Bebel und Willy Brandt mit jahrzehntelangen Amtszeiten werden wohl nicht wieder kommen. Allerdings hatten die zahlreichen Rücktritte seit Brandts Demission 1987 jeweils spezifische eigene Gründe.

Also alles nur Zufall und keine strukturelle Krise?Es waren meist ungewöhnliche Fälle mit eigenen Begründungen. Zudem ist dies ein schwieriges Amt. Gerade nach acht Jahren Regierungsverantwortung im Bund ist die Programmdebatte deshalb so wichtig. Matthias Platzeck hat sich hier sehr eingebracht.

Denken Sie, dass sein hektisch nominierter Nachfolger Kurt Beck inhaltlich einen anderen Kurs einschlagen wird?Nein, genauso wie Platzeck in der Programmdebatte auf die Vorarbeit in der Partei setzen konnte, wird dies auch Kurt Beck tun. Die Themen, denen sich die SPD zuwenden muss, bleiben auf der Tagesordnung, egal wer Vorsitzender ist. Wir müssen Antworten finden auf die Probleme der Globalisierung. Der Sozialstaat muss fortentwickelt werden.

Personell wirkt die SPD ausgezehrt. Auch aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen gab es keine Alternative zum neuen Parteichef Kurt Beck.Kurt Beck hat mit seinem eindrucksvollen Wahlerfolg als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und durch seine politische Arbeit in den letzten Jahren jetzt das Vertrauen verdient. Und die NRW-SPD hat weiterhin eine hohe Bedeutung. Immerhin stellen wir mit Peer Steinbrück und Bärbel Dieckmann zwei stellvertretende Parteivorsitzende und mit Franz Müntefering den Arbeitsminister und Vizekanzler.

INTERVIEW: MARTIN TEIGELER