ausgehen und rumstehen
: Ohne Übergangsjacke in Zeiten des Übergangs

Was für ein lausiges Wochenende war das denn wieder? Eine kalte Wintersonne spiegelte einem vollkommen falsche Tatsachen vor – klamme Hände und gefrorene Nasen waren das Ergebnis. Einzig in der Falckensteinstraße, im neuen Showroom, kam ein wenig Wärme auf. Die Ausstellung „Imperia Park“ zeigte Fotoarbeiten der prekär Beschäftigten aus den umliegenden Bars. Der Kachelofen war geheizt, es war voll, viele standen vor der Tür, wohl auch, weil es drinnen recht verraucht war, und alle unterhielten sich über das beliebte Thema „Rauchen“: In Spanien geht es nicht mehr, in Italien – ganz schwierig, und sogar in der Türkei wird jetzt vor absterbenden Spermozyten auf der Schachtel gewarnt. Ist das ein neuer Konversationstrick, um unauffällig mit Städtereisen anzugeben? Nach dem Motto „Also neulich in Barcelona – nur auf der Straße“, oder „in New York ja schon länger nicht mehr, und jetzt vor kurzem in Rom, da kannst du nirgendwo mehr rauchen.“

Ja, ja, rauchen darf man praktisch nur noch in Deutschland und Moldawien. Aber was hat man davon, wenn man Nichtraucher ist und trotzdem nie rauskommt? Man verbittert leicht in diesem kalten freudlosen Frühling, nur der Alkohol lässt uns hin und wieder ein paar frohe Stunden erleben. Vielleicht ist es an der Zeit, mal das schlechte Image dieses unkomplizierten, leicht zugänglichen Stimmungsmachers aufzubessern und ein Loblied auf den Alkohol in all seiner Vielfalt zu singen.

Was wären wir ohne ihn, den besten Freund des Menschen? Wäre das Leben ohne ihn nicht noch trostloser und fader? Selbst die alte Weisheit, die sagt, das kluge Menschen am Wochenende zu Hause bleiben, weil da nur Idioten unterwegs sind, kann mit Hilfe von Alkohol relativiert werden. Denn trinken macht stoisch, geduldig und freundlich. Wenn man genug getrunken hat und lange genug rumgeschubst wurde, wird sogar Freitag abends im San Remo irgendwann einmal ein wackliger Sitzplatz in einer zugigen Ecke frei, und nach acht Sekt auf Eis sieht alles freundlicher aus. Es waren auch zwei männliche Werbe-Ikonen (Sparkasse, Bier, McDonald’s, die Auskunft) vor Ort, man schrieb sich SMS mit Bleistift und Papier, andere tanzten exaltiert vor dem Eingang, Bekanntschaften wurden gemacht, Projekte verabredet und das Leben war für kurze Zeit wieder ein bisschen schön.

Aber am nächsten Tag ging alles wieder von vorne los. Lauter Probleme, das Weggehen, das Zuhausebleiben, das Anziehen. Bei so einer beginnenden Frühlingsdepression ist eine Shoppingtour das beste Gegenmittel, das steht in jedem Woman-Magazin von Brigitte bis Cosmopolitan.

Aber was, wenn dann kurz vor 18 Uhr bei H&M in der Karl-Marx-Straße die Verzweiflung neue Formen annimmt, weil es heißt: „Unser Geschäft schließt in wenigen Minuten“, und natürlich ist keine Übergangsjacke weit und breit in Sicht? Wobei man sich fragen muss, gibt es sie überhaupt, die Übergangsjacke? Oder ist es nur ein weiterer Trick der Bekleidungsindustrie, um künstliche Bedürfnisse zu wecken? Wie soll denn so eine angebliche Übergangsjacke überhaupt aussehen? Die Verkäuferinnen will man mit dieser grundlegenden Frage auch nicht belästigen, die schieben schon die großen Kleiderständer zusammen und diskutieren über die Rütli-Schule: „Da kommen dann die Journalisten von der Bild und drücken den Kids ‚n Zwanni in die Hand, damit die mal auf dicke Hose machen.“ Das lehrt uns natürlich, dass es schlimmere Probleme als die eigenen gibt. Trotzdem: Alles wäre besser, wenn man in den schwierigen Zeiten des Übergangs eine Übergangsjacke hätte.

CHRISTIANE RÖSINGER