Chaos nach dem Krisengipfel

UMBRÜCHE Nach der 0:2-Niederlage im Nordderby gegen Werder Bremen herrscht weiter Verwirrung beim Hamburger SV. Nun soll Bert van Marwijk (oder doch jemand anderes?) den Bundesliga-Dino retten

Die Bremer scheinen schon einen Schritt weiter zu sein als ihre Hamburger Rivalen

AUS HAMBURG JAN KAHLCKE

Als der Stadionsprecher die Aufstellung des HSV verlesen hatte, fügte er hinzu: „Und unser Trainer heißt: Rodolfo …“ Er hätte auch sagen können: „Unser Trainer heißt heute …“, denn beim nächsten Bundesliga-Heimspiel soll es schon ein anderer sein. Immerhin, die Fans antworteten mit einem kräftigen „Cardoso!“. Sie kennen ihn. Es ist ja nicht das erste Mal, dass der Argentinier statt der zweiten Mannschaft die erste coachen muss. Denn es ist auch nicht das erste Mal, dass der HSV seinen Trainer entlässt. Wobei der Anfang der Woche gefeuerte Thorsten Fink es für HSV-Verhältnisse sogar recht lange ausgehalten hatte: fast zwei Jahre. Der Niederländer Bert van Marwijk, der nun wohl Finks Nachfolge antreten wird, wäre der siebte HSV-Trainer in sieben Jahren.

Im Spiel eins nach Fink war allerdings vor allem zu sehen, dass nicht immer alles am Trainer liegt. Beim 0:2 im Nordderby gegen Werder Bremen stand ein Team auf dem Platz, dem die hohen Niederlagen der letzten Wochen deutlich zugesetzt hatten. Dass Cardosos Kniff, den 17-jährigen Jonathan Tah in der Innenverteidigung debütieren zu lassen, keine zusätzliche Sicherheit bringen würde, konnte man sich fast denken. Es lässt tief blicken, dass Tomás Rincón, beim HSV eigentlich für die Rolle des rustikalen Abräumers gebucht, über weite Strecken das Spiel machen musste, für die öffnenden Pässe zuständig war. In den nächsten Wochen wird er das nicht mehr können: Er ging mit einem Kieferbruch vom Platz, was die Sorgen des HSV verschärft.

Der SV Werder war nach drei deutlichen Niederlagen in Folge nicht minder beschwert zum Krisengipfel nach Hamburg gekommen. Die Bremer sind aber einen Schritt weiter als ihre Hamburger Rivalen: Sie haben ihren langjährigen Trainer Thomas Schaaf schon in der vergangenen Saison entlassen.

Der neue, Robin Dutt, arbeitet bereits seit ein paar Monaten an seinem Spielsystem, das auf einer kompakten Deckung beruht. Ballkontrolle gewinnen die Werderaner mit schnellen Vertikalpässen, die die Hamburger erkennbar verwirrten. Dutt hat auch schon ein paar Spieler seiner Wahl holen können. Nun kann er sich damit befassen, sie zu integrieren. Mit dem italienisch-argentinischen Abwehr-Duo aus Luca Caldirola und dem Debütanten Santiago García klappte das schon ganz gut, aber Dutts Perspektive ist langfristig: „Vielleicht schon in der Rückrunde“ werde er eine stabile Formation gefunden haben – wenn es nicht bis zur nächsten Saison dauert. So was darf man in Bremen ungestraft sagen.

Wie ein Neuzugang wirkt auch Nils Petersen: Nach 16 Bundesliga-Spielen ohne Tor traf Werders Stürmer in Hamburg gleich zwei Mal. Für ein Sonderlob reichte das nicht: „Eigentlich hätte er drei machen müssen“, sagte Dutt trocken. Und er hatte recht: Als der HSV in der zweiten Halbzeit alles nach vorn warf, war Petersen bei einem Konter allein vor René Adler aufgetaucht und schoss den HSV-Torwart an, statt ihn zu umspielen und so „seinem Trainer ein paar ruhigere Minuten“ zu bescheren, wie Dutt es ausdrückte.

Petersen dagegen strahlte nach dem Spiel. Dass er abhebt, muss bei Werder aber niemand befürchten. „Wenn wir so weitermachen, mache ich mir keine Sorgen, dass am Ende genug Punkte stehen werden“, sagte er. Er meint: genug Punkte, um nicht abzusteigen. Auch Trainer Dutt hat offenbar immer noch nur begrenztes Zutrauen zu seiner Elf, wie man an seiner Wechselstrategie sehen konnte: Am Ende sicherte Werder den Erfolg mit sechs Verteidigern.

Wer den freien Fall des HSV aufhalten soll, schien am Samstagabend geklärt: Borussia Dortmunds früherer Trainer Bert van Marwijk teilte mit, er sei sich mit dem HSV einig. Dort wollte man indes nur Gespräche mit dem Niederländer bestätigen, der vor einem Jahr vom Amt als Bondscoach zurückgetreten war. Während van Marwijk schon von den tollen Fans und dem Stadion in Hamburg schwärmte, hieß es beim HSV, Manager Oliver Kreuzer sei auf dem Weg in die Schweiz, um sich mit dem Trainerkandidaten Christian Groß zu treffen. Später kam das Dementi. Aber dieser Holperstart dürfte van Marwijk deutlich machen, wo er sich hineinbegibt: in einen Club, in dem weit mehr im Argen liegt als nur die Besetzung einer vakanten Trainerstelle.