Blutiger Anschlag auf vollbesetzte Kirche

PAKISTAN Mehr als 70 Menschen sind durch zwei Selbstmordattentäter in der Stadt Peschawar getötet worden. Der Überfall geschah unmittelbar nach dem Gottesdienst inmitten Hunderter Gläubiger

BANGKOK taz | Nach einem schweren Bombenanschlag auf eine Kirche in der nordwestpakistanischen Stadt Peschawar ist es in vielen Städten des Landes zu Protesten gekommen. In Peschawar zündeten protestierende Christen Reifen an. Sie blockierten für mehrere Stunden eine Hauptstraße und bewarfen Autos mit Steinen. Proteste wurden auch aus Lahore, Faisalabad, Sialkot sowie aus der Finanzmetropole Karatschi und weiteren Städten gemeldet.

Vermutlich zwei Selbstmordattentäter haben sich am Sonntag auf dem Gelände der Allerheiligenkirche in Peschawar in die Luft gesprengt. Augenzeugen berichteten, dass es kurz nach dem Ende der Messe erst eine relativ schwache erste Explosion an der Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich gegeben habe. Kurz danach sprengte sich ein zweiter Selbstmordattentäter im Hof der Kirche in die Luft, wo Hunderte von Kirchgängern auf eine kostenlose Mahlzeit warteten.

Das Gebäude ist 130 Jahre alt und nach außen hin wie eine Moschee gestaltet. Berichte von Augenzeugen und drastische Aufnahmen vom Anschlagsort zeugen von dem Grauen, das sich auf dem Gelände der Kirche abgespielt hat. Die Zahl der Todesopfer lag bis zum Sonntagabend bei mehr als 70. Mehr als 120 Menschen wurden verletzt.

Pakistans Regierung und Pakistan Ulema Council, die größte klerikale muslimische Organisation des Landes, verurteilten den Anschlag. „Wir stehen unseren christlichen Brüdern in dieser Tragödie bei“, hieß es in einer Erklärung des Ulema Council. Zu dem Anschlag hat sich bis zu Sonntagabend niemand bekannt.

Im Verdacht stehen jedoch mehrere sunnitische Extremistengruppen, die seit einigen Monaten häufiger Anschläge auf religiöse Minderheiten verüben. Seit Jahresbeginn sind Hunderte Schiiten bei Anschlägen getötet worden. Häufig sind moderate Geistliche oder Politiker das Ziel solcher Attacken.

Nur etwa drei bis vier Prozent der Pakistaner sind christlichen Glaubens. Sie werden immer wieder zum Ziel von religiös motivierten Übergriffen. Viele von ihnen sind Nachkommen von sozial sehr niedrig stehenden gesellschaftlichen Gruppen, die bereits während der Kolonialzeit zum Christentum konvertiert sind. Daher zählen Christen bis heute zu den ärmsten Gruppen in Pakistan.

Im März hat ein muslimischer Mob in Lahore im Osten des Landes ein christliches Wohnviertel angegriffen und mehr als hundert Häuser und zwei Kirchen niedergebrannt. Zu der Gewaltexplosion kam es nach Gerüchten, wonach ein Christ Blasphemie begangen haben soll, worauf in Pakistan die Todesstrafe steht. Häufig hat die Polizei die größte Mühe, die Betroffenen rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Auch deren gesamte Familien müssen nach solchen Vorwürfen in aller Regel fliehen.

Nicht selten stellt sich bei den Ermittlungen heraus, dass die Blasphemievorwürfe erfunden waren und Nachbarschaftsstreitigkeiten oder ähnliche Dispute über Geld oder Land der Anlass der Auseinandersetzungen waren. SASCHA ZASTIRAL