„Die Jobcenter sind überfordert“

HARTZ IV Das größte Problem für Alleinerziehende ist die Kinderbetreuung, sagt Margot Eidtmann

■ Die 57-Jährige ist Sozialpädagogin und leitet die Beratungsstelle des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in Kiel. Der VAMV wurde 1967 gegründet und zählt heute 9.000 Mitglieder.

?taz: Frau Eidtmann, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will Alleinerziehenden die Jobsuche erleichtern, die SPD legt ein 8-Punkte-Programm vor. Wie erklären Sie sich das Interesse?

Margot Eidtmann: Die Bundesagentur für Arbeit hat aufrüttelnde Zahlen: Über die Hälfte aller Bedarfsgemeinschaften im ALG II sind Alleinerziehende.

Was müsste als Erstes anders werden?

Die Kinderbetreuung. Jede Woche sitzen in meiner Beratung Frauen, bei denen fehlt hier eine halbe Stunde morgens und da eine Stunde am Abend. Sie haben ja nur Anspruch auf einen Halbtagsplatz. Alleinerziehende können keine Verkäuferinnen werden, die bis 22 Uhr im Laden stehen. Oder Pflegekräfte, die morgens um 6 Uhr anfangen. Diese typischen Frauenjobs sind mit den Kitazeiten nicht vereinbar, deshalb bleiben die Frauen arbeitslos. Oft reicht der künftige Lohn nicht, um eine zweite Betreuung zu bezahlen. Die Kitagebühren für Niedrigverdiener müssen sinken.

Die SPD will nun auch den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz, sogar für die gesamte Schulzeit.

Die meisten Kinder gehen in Halbtagsschulen, in vielen Landkreisen gibt es nur eine Ganztagsschule. Ein Rechtsanspruch würde helfen. Frau von der Leyen setzt auf die Jobcenter. Die sollen Kitaplätze für Alleinerziehende besorgen. Im Moment sind diese mit solchen Aufgaben überfordert, sie vermitteln in Maßnahmen, ohne sich um Kinderbetreuung zu kümmern.

Die SPD will mehr Personal für die Jobcenter.

Die Forderung ist gut, aber die SPD ist in der Opposition. Das Hauptproblem ist, dass wirkliche Arbeitsvermittlung in den Jobcentern gar nicht mehr stattfindet. Die Leute werden in Maßnahmen gesteckt, dann sind sie raus aus der Statistik. Die Alleinerziehenden als inhomogene Gruppe benötigen aber individuelle Beratung.

Was heißt das genau?

Sie bekommen durch Maßnahmen irgendwelche Zusatzqualifikationen. Wenn sie aber eine Ausbildung oder den Realschulabschluss machen wollen, zahlt das Jobcenter nicht. Dann müssen sie in das Ausbildungsförderungssystem wechseln, und die Eltern werden wieder zur Finanzierung herangezogen. Das wollen viele 25-Jährige nicht. Und: Bei der Ausbildungsförderung gibt es Altersgrenzen. Aber auch 30-Jährige müssen Abschlüsse machen können, gerade Alleinerziehende.

Der Rechtsanspruch auf Schul- und Berufsabschluss in Teilzeit steht im SPD-Programm.

Die Ideen sind alle schön, aber wie setzt man sie um? Die Kommunen sparen. Die Kitagebühren werden erhöht, der Ausbau kommt kaum voran. Was die Arbeitsagentur angeht, bin ich etwas optimistischer. Es wird viel Geld in den Maßnahmen verbrannt. Dieses Geld kann man umschichten in nachhaltige Ausbildungen und eine bessere Betreuung. INTERVIEW: HEIDE OESTREICH

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