DIE BESTE METHODE, ALS NICHTWÄHLER WÄHLER ZU NICHTWÄHLERN ZU MACHEN
: Billigsekt wird auch bei freier Auswahl nicht zu Champagner

VON JURI STERNBURG

Meine Güte, was bin ich froh. Endlich muss man in den Bars und Clubs der Stadt keine Politikdiskussionen mehr führen beziehungsweise sich dafür rechtfertigen, dass man überzeugter Nichtwähler ist. Von allen Seiten prasselte es auf mich ein, wie könnte ich nur, ich würde die Demokratie gefährden, die freie Wahl zu haben wäre das höchste Gut der Welt. Ich argumentierte immer wieder, ich sei nicht bereit, das kleinere Übel zu wählen, sechs mehr oder weniger schale Gläser Billigsekt werden auch bei freier Auswahl nicht zu Champagner.

Erstmals erklären musste ich mich am Donnerstag auf der „Contemporary & Fine Urban Arts“-Ausstellung im M.I.K.Z. Hier, wo sich ehemalige oder auch höchst aktive Graffity-Sprüher auf Leinwand verewigt hatten und Menschen, die man eher auf der London Fashion Week erwartet, pseudointeressiert vor den Schriftzügen und Drucken stehen, um sich im Glanz des rauen Straßencharmes zu sonnen, hatte ich erwartet, dass man meinen Standpunkt verstehen würde. Schließlich vertritt man eine Klientel, die dem Staat und den Ordnungshütern eher kritisch gegenübersteht.

Feind der Demokratie?

Aber nix da, wählen muss sein, und wenn es auch nur „Die Partei“ ist. Während ich mich in den einzigen Raum zurückzog, der menschenleer war (hier wurde nämlich der Trailer für den neuen Film der Graffity-Crew 1UP präsentiert, was niemanden wirklich interessierte, immerhin war man hier, um gesehen zu werden, nicht um zu sehen), dachte ich darüber nach, warum meine Umwelt immer noch an dieses Konstrukt namens Wahl glaubt. Es beruhigte mich kaum, dass ich zu der Überzeugung gelangte, dass dumm sein ein bisschen wie tot sein ist, man merkt es selbst nicht und die anderen leiden. Außerdem sind ja nicht alle dumm, die wählen gehen, das ist ja das Traurige. Und wenn alle anderen einem widersprechen, vielleicht lag man dann selbst im Unrecht?

Am Freitag genau das gleiche Spiel, ich war schon äußerst (politik-)müde, doch das hielt den Rapper aus Leipzig, den ich gerade erst kennengelernt hatte, nicht davon ab, mir zu erklären, dass ich definitiv „Die Linke“ wählen sollte. Sie wäre zwar nicht regierungsfähig, aber als Oppositionspartei extrem wichtig. Ich sprach ihn auf seine von mir sehr geschätzten und durch und durch staatszersetzenden Texte an, aber das sei etwas anderes, sagte er.

Wie auch immer. Langsam, aber sicher wurde mir klar, dass all meine Freunde und Bekannten sich nicht von mir überzeugen lassen würden, sie alle wollten brav zur Urne, um ihrer Bürgerpflicht nachzukommen. Also ging ich Samstag über zu Plan B, ich wollte mich mit der Erkenntnis „Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt!“ nicht zufrieden geben.

Im Humboldthain-Club stand eine Geburtstagsfeier an. Ein Großteil meines Freundeskreises würde anwesend sein und ich packte mir drei Flaschen von dem guten polnischen Honigwodka in die Tasche. Vordergründig gut gelaunt und nur auf Jux und Dollerei aus, sorgte ich den ganzen Abend für gute Laune und feuchte Kehlen, prostete hier und dort den Leuten zu, und selbst als ich morgens um sieben auf die Umstehenden einen verwirrten und angetrunkenen Zustand machte, hatte ich kaltblütig nur eins im Sinn: Die Umstehenden von der Wahl abzuhalten.

Zwar stieg die Wahlbeteiligung im Allgemeinen auf 73 Prozent, laut neuesten Erkenntnissen schaffte es aber tatsächlich ein Großteil meines Umfelds nicht in die Wahlkabine, geschweige denn aus dem Bett oder von der Parkbank runter. Jetzt wird es wohl Zeit, mich als Feind der Demokratie zu betiteln und einen Shitstorm auf meiner Facebookseite zu veranstalten, ist mir aber alles egal, ich freu mich schon auf die nächste Wahl in vier Jahren, schließlich hat man selten einen so guten Grund, um volltrunken zu sein.