Kampfansage an Vattenfall

REKOMMUNALISIERUNG Die Hamburger stimmen mit knapper Mehrheit dafür, dass die Stadt sich die Energienetze zurückholt

Vattenfall will sich nun in Konkurrenz zu Hamburg um den Netzbetrieb bewerben

AUS HAMBURG MARCO CARINI

Der Hamburger Senat soll die Energienetze von Vattenfall und Eon zurückkaufen. So lautet das Ergebnis eines Volksentscheids über die Zukunft des Gas-, Strom- und Fernwärmenetzes der Hansestadt. In einem Kopf-an-Kopf-Rennen, das am Wahlabend erst gegen Mitternacht entschieden war, hatte am Ende das Bündnis „Unser Hamburg – unser Netz“ hauchdünn die Nase vorn: Gut 440.000 HamburgerInnen (50,9 Prozent) stimmten für den Netzrückkauf, etwas mehr als 425.000 (49,1 Prozent) dagegen.

„Die Stadt ist in dieser Frage gespalten, aber Mehrheit ist Mehrheit“, kommentierte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel das Ergebnis. Die SPD hatte unter Führung von Bürgermeister Olaf Scholz einen Gegenvorschlag vorgelegt und mit den Energieversorgern bereits ausverhandelt. Danach sollte die Stadt eine Minderheitsbeteiligung von jeweils 25,1 Prozent an den drei Netzgesellschaften übernehmen und dafür 533,5 Millionen Euro an Vattenfall und Eon zahlen. Die geschlossenen Verträge werden nun rückabgewickelt.

Scholz, der sich vor allem aus finanziellen Gründen vehement gegen den vollständigen Netzrückkauf ausgesprochen hatte, versprach, den fairen Verlierer zu geben. Bereits am Tag nach der Wahl stimmte die SPD-Fraktion einem Antrag zu, der am morgigen Mittwoch im Landesparlament, der Hamburgischen Bürgerschaft, beschlossen werden soll und den weiteren Fahrplan festlegt.

Danach wird der Senat zuerst klären, ob Vattenfall und Eon der Stadt womöglich freiwillig die jeweils fehlenden 74,9 Prozent an den drei Netzgesellschaften für rund 1,5 Milliarden Euro überlassen. Sollten die Energieversorger dieses Ansinnen ablehnen – was so erwartet wird –, will die Stadt nach der Kündigung der Minderheitsbeteiligungen neue städtische Netzgesellschaften gründen. Diese sollen sich im Rahmen der für 2014 und 2015 anstehenden Konzessionsverfahren um den Betrieb der drei Netze bewerben.

In diesem Prozess sieht der Senat „eine Reihe von rechtlichen Unwägbarkeiten und Auseinandersetzungen“ auf sich zukommen – die Rekommunalisierung dürfte kein Selbstgänger werden. Wahrscheinlich ist, das auch Vattenfall und Eon sich in den Konzessionsverfahren um den jeweils für 20 Jahre ausgeschriebenen Netzbetrieb bewerben. Und tatsächlich kündigte der deutsche Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka unmittelbar nach Auszählung des Volksentscheids bereits an, Vattenfall werde sich nun in Konkurrenz zu Hamburg „mit Hochdruck auf das Konzessionsverfahren vorbereiten“.

Setzt Hamburg den Volksentscheid um, wird es sich selbst die Konzessionen zuschlagen, wogegen Vattenfall und Eon dann wiederum aller Voraussicht nach klagen werden. Die Gerichtsverfahren können Jahre dauern, ihr Ausgang ist offen.

Bei der Fernwärme, dem energiepolitisch wichtigsten Feld, müssen Vattenfall und die Stadt erst einmal ausfechten, ob der Netzbetrieb hier überhaupt neu konzessioniert werden kann oder ob die Netze und die dazugehörigen Produktionsanlagen Vattenfall nicht längst gehören. Insgesamt sieht der Volljurist Scholz bis zu „sieben Prozesse“ auf die Stadt zurollen, die alle gewonnen werden müssen, um die Rekommunalisierung sämtlicher Netze zu bewerkstelligen.

Vor diesem Hintergrund forderte „Unser Hamburg – unser Netz“ Vattenfall und Eon auf, den Volkswillen zu akzeptieren und der Rekommunalisierung keine Steine in den Weg zu legen – weder durch Konzessionsbewerbungen noch durch Prozesslawinen. Dass die Stadt die Unwägbarkeiten bei gutem Willen meistern werde, ist sich Initiativsprecher Manfred Braasch sicher: Immerhin seien bundesweit schon 200 andere Netzrekommunalisierungen erfolgreich gewesen.

Meinung + Diskussion SEITE 10