Gleich drei Premieren auf einen Streich

Politiker dürfen im Ruhrgebiet keine Opernfreunde sein. In der frisch gekürten Kulturhauptstadt Europas geraten Musikfans manchmal in Megastress

In der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 drohte beim „fliegenden Holländer“ um ein Haar der Abbruch der Premieren-Vorstellung

VON REGINE MÜLLER

Drei Opernhäuser kamen am Wochenende in Nordrhein-Westfalen mit Premieren heraus. Das einst weithin ausstrahlende Kölner Opernhaus am Offenbachplatz, Dortmunds noch immer wenig glanzvolles Haus und das erfolgsverwöhnte, gut ausgelastete Aalto-Theater in der Stadt, die gestern Kulturhauptstadt geworden ist. Geschäftstüchtig umschifft der Essener Intendant und GMD (in Personalunion Stefan Soltesz) in der Auswahl des Repertoires jedes Risiko und schlägt einen weiten Bogen um Neutöner. Dennoch hat er diesmal sein treues, nach süffigem Genuss dürstendes Publikum ausgerechnet mit Wagners „Fliegendem Holländer“ so verärgert, dass um ein Haar der Abbruch der Premieren-Vorstellung drohte. Als neues Kulturhauptstadt-Publikum haben sich die Essener mit dem Provinzaufstand nicht gerade geoutet.

Doch der Reihe nach: in Köln versprach am vergangenen Freitag die Uraufführung von Jan Müller-Wielands „Der Held der westlichen Welt“ eine „komische Oper“. Der Tonsetzer Müller-Wieland, als Schüler Hans-Werner Henzes ein Vertreter der „neuen Einfachheit“, hat sich mit einem Text nach Motiven von Annemarie und Heinrich Bölls Übersetzung des irischen Schauspiels von „The Playboy of the Western World“ einen skurrilen Stoff vorgeknöpft, der in der Form eines absurden Wiederholungstheaters den Ödipus-Mythos parodiert: In drei Versionen brüstet sich der Möchtegern-Held mit angeblichem Vatermord und wird dafür vom träge um eine Trinkhalle herumlungernden Chor-Pöbel erst gefeiert, dann verachtet, schließlich verfolgt. Aber der totgesagte Vater ist nicht tot, sondern lebensmüde und arbeitslos, Muttern hängt an der Flasche und der Held ist eine Rotznase in Babymütze – grandios Claudia Rohrbach in der Hosenrolle.

Die Szene zu diesem sich absurd zersetzendem Spiel ist mit Plastikstühlen, Glühbirnen, Bierkästen und altem Sofa à la Castorf‘scher Volksbühne hübsch trist möbliert, Kostüme aus dem Kleidersack tun ihr Übriges. Müller-Wielands rhythmische, holzschnittartige Musik hantiert versiert und unbekümmert mit Zitaten, scheut weder Tonalität noch Bigbandsound, bricht mal ruppig auf und bleibt auf Distanz zum rüden, oftmals kalauerndem Geschehen. Karoline Grubers Regie treibt mit Überzeichnung und Verfremdung das böse Spiel grob auf die Spitze, ohne in die Sozialkitsch-Falle zu tappen. Die zunehmend mit Längen und Selbstermüdung kämpfende Endlosschleife endet in trügerischer Harmonie: der Vater kriegt einen Job als Holzfäller. Hartz IV ist in der Oper angekommen. Die Kölner schluckten die Kröte mit Murren, aber jubelten fürs Musikalische, insbesondere für GMD Markus Stenz.

In Dortmund sollte es dagegen ein politisch korrektes Lehrstück sein: Paul Dessaus „Einstein“ von 1974, eine Parabel in Brecht-Manier, unterfüttert mit sparsamen Klängen des frühen 20. Jahrhunderts. Auch in Dortmund spielen Groteske und Verfremdung eine – vorgeschriebene – Rolle: drei Hanstwurstiaden unterbrechen die fiktiven und kaleidoskopartigen Szenen aus dem Leben Einsteins. Die schwarz-weiße Welt in Dessaus Oper zerfällt in böse Nazis, assige Amerikaner, idealistische und opportunistische Forscher und friedensbewegte Gutmenschen und bleibt damit hoffnungslos gestrig und unterkomplex. Ein paar hilflose Aktualisierungsversuche, wie etwa der peinliche Merkel-Witz lassen das Altbackene nur deutlicher hervortreten. Die insgesamt wackere Ensembleleistung, die teils schönen Bilder von Gregor Horres‘ gut gemeinter Regie können den Abend nicht retten. Freundliche Zustimmung jedoch in Dortmund für das gewiss durch Schulklassen gut gebuchte Stück.

Nicht so ganz jugendfrei dagegen die aufgeraute „Holländer“-Lesart, die der derzeit schwer angesagte Australier Barrie Kosky auf das konservative Essener Publikum loslässt. Ein großes Panoramafenster im Stil der 60er Jahre gibt den Blick frei auf eine Häuserfront mit vielen kleinen Fenstern, hinter denen Voyeure mit Ferngläsern hocken. Sie verfolgen eine aberwitzige Geschichte, die einer wirren Albtraumlogik gehorcht. Statt der Spinnräder dreht sich nur immerzu „Senta“ (Astrid Weber) wie aufgezogen um sich selbst. Ziemlich durchgeknallt, aber der Rest des Personals ist auch reichlich verspannt. Almas Svilpas „Holländer“ schiebt sich als tapsiger Muskelberg über die Szene, der abgelegte Liebhaber „Erik“ (Jeffrey Dowd) zappelt als Wigald-Boning-Kopie (oder soll das der junge Dr. Kohl sein?), schmierig-jovial Marcel Roscas „Daland“, „Mary“ eine dominante Lesbe mit Julia-Timoschenko-Frisur.

Die Chordamen mischen sich in der zentralen Doppelchor-Szene mit den Männern zu einer gigantischen Senta-Hundertschaft. Der Matrosenchor wird bei Kosky zum Hexensabbat im Cinemascope-Format. Mit Tempo und Rhythmus zeigt er eine rauschhafte Orgie, in dessen Verlauf ein Glatzkopf und ein Skelett zur Welt kommen, und die roten Senta-Kleider bis aufs Feinripp abgelegt und im Sturm geschwenkt werden.

Damit folgt Kosky nur der Musik – die Essener freilich fahren mit gellenden Pfiffen und „Aufhören!“-Geschrei rabiat dazwischen und bringen sich damit um die fesselndsten Momente des Abends. Koskys sicheres Gespür für Theatereffekte entschädigt freilich nicht für einen gewissen Mangel an Schlüssigkeit. Stefan Soltesz liefert aus dem Graben die gewohnt schmissige Perfektion.

Alle drei Opern in acht Tagen:Do, 13. April 2006, 19:30 UhrOper KölnDer Held der westlichen WeltInfos: 0221-22128400So, 16. April 2006, 18:00 UhrAalto-Theater, EssenDer fliegende HolländerInfos: 0201-8122200Fr, 21. April 2006, 19:30 UhrOper DortmundEinsteinInfos: 0231-5027222