Kleine Körpermaschinen

Niedersachsen hat seine „Fitness-Landkarte“ fertig. Jetzt erwägt auch Hamburg eine „Messung der körperlichen Leistungsfähigkeit“ seiner Schüler – dabei sind die Erfahrungen in Niedersachsen nicht die besten

Hamburgs CDU-Bürgermeister Ole von Beust will bis zur nächsten Wahl in zwei Jahren keine Aufregung mehr im Bildungsressort. Sehr dezent fiel daher die Ankündigung der Abgeordneten Marita Meyer-Kainer aus, man möge doch auch in Hamburg eine „Messung“ der „körperlichen Leistungsfähigkeit“ der Schüler vornehmen. Ihr entsprechender Antrag sei lediglich ein „Prüfauftrag“ an die Bildungsbehörde, sagte sie. So sei zu prüfen, ob dies überhaupt, und wenn ja, „so wie in Niedersachsen“ gemacht werden müsse, oder ob „Stichproben reichen“.

Ein Blick auf die Homepage des Stadtelternrates Hannover könnte die Prüfung negativ beeinflussen. Kaum ein Projekt brachte Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) in diesem Schuljahr so viele böse Schlagzeilen ein wie der im Herbst per Erlass verordnete „Fitness-Test“ für alle Schüler von der 1. bis zur 10. Klasse. Nicht nur der Stadtelternrat, die GEW und Schulleiter geißelten das Projekt wegen des großen Aufwands, der unmodernen Übungen wie Rumpfbeugen und auch möglichen Verstößen gegen den Datenschutz – das Vorhaben brachte ihm sogar Spott und offenen Streit mit den Sportwissenschaftlern der Universitäten Hannover und Osnabrück ein. „Ich frage mich, welchen Sinn dies macht“, sagt beispielsweise der Osnabrücker Professor Peter Elflein. Wenn es darum ginge, die Gesundheit der Kinder zu fördern, müsse man auch psychosoziale Ursachen mit einbeziehen. Elflein: „Kinder sollten nicht wie Körpermaschinen behandelt werden. Sie werden nicht gesund oder dünn, nur weil sie diese Übungen machen.“

Im Kultusministerium ist man derweil stolz darauf, dass es gelang, mit den 581.000 mühsam von Lehrern eingegebenen Datensätzen eine Fitness-Landkarte fürs Internet zu erstellen (www.fitnesslandkarte.niedersachsen.de). Per Mausklick lässt sich schnell in Erfahrung bringen, dass der Landkreis Vechta mit 15 Prozent die meisten Kinder hat, die über dem Landesdurchschnitt liegen und Wilhelmshafen mit nur 7,2 Prozent das Schlusslicht bildet. Die Karte differenziert auch nach Gemeinden und bietet viele Spielereien. So lässt sich herausbekommen, dass Göttingens Grundschüler am schnellsten Treppen laufen, in Oldenburg die meisten Kinder im Sportverein sind und in Lüchow-Dannenberg die Mädchen Pferdesport lieben. Laut Ministeriumssprecher Georg Weßling haben sich bereits in den Landkreisen Initiativen gebildet, um die Fitness der Kinder zu fördern. Auch sei die Karte nützlich für die Kommunalpolitik: „Wenn ein Gemeinderat überlegt, ob sie den Rathausplatz pflastern oder drei Bolzplätze anlegen, sollten sie vorher in diese Fitness-Karte gucken.“ Zudem kann jeder Schüler per Passwort seine Einzelleistung abfragen. Der renommierte Erziehungswissenschaftler Klaus Hurrelmann sieht hierin einen „neuen und interessanten Weg“, der bei schulischen Präventionsprogrammen bislang gefehlt habe.

Das Lob aus seinem Munde irritiert die Schar der schulischen Kritiker, ist doch aus ihrer Sicht nicht mal die Objektivität der Daten gesichert. „Es gibt Schüler, die haben sich einen Spaß draus gemacht, sich sehr schlecht einzustufen“, berichtet die Hannoveraner Lehrerin Birthe Clasen. So hätten ganze Klassen bei der Sprossenwandübung geschummelt. Strittig ist auch die Laufübung, bei der die Schüler im Anschluss ihren Puls messen sollten. Clasen: „Das gab dann Werte wie 1.000 pro Minute – und sehr viele Lacher.“ Kaija Kutter