Beschwingte Kurven

AUSSTELLUNG „Drei Kontinente – sieben Länder“ in der Berliner Kunstbibliothek zeigt 150 Skizzenblätter des Architekten Erich Mendelsohn. Seine expressionistische Formensprache stand für Aufbruch in eine neue Zeit

Mendelsohns „Gesichte“, wie er seine Architekturvisionen nannte, nehmen merkwürdigerweise vieles vorweg, was technisch-konstruktiv erst viel später zu bauen möglich war

VON RONALD BERG

Erich Mendelsohn war ein Frühvollendeter. Er hat das selbst so empfunden und eine Philosophie daraus gemacht: 1887 in kleinen Verhältnissen im ostpreußischen Allenstein geboren, erlebt er ab 1913 seine „Gesichte“, Architekturvisionen, die er in Skizzenform schöpferisch-intuitiv, ohne Auftrag und ohne feste funktionale Bestimmung zu Papier brachte. Es sind jene expressiv anmutenden, aus starker Untersicht und mit beschwingten Linien wiedergegebenen Architekturen, die so typisch wie einzigartig sind.

Von diesen frühen Visionen schöpfte Mendelsohn. „Ich glaube, dass alle schöpferischen Künstler ihre individuelle Bedeutung in ihren ersten Arbeiten enthüllen“, formulierte Mendelsohn rückblickend 1948. Da hatte der Architekt bereits auf „drei Kontinenten und in sieben Ländern“ gelebt und gearbeitet.

So lautet denn auch der Titel für die Ausstellung der Berliner Kunstbibliothek aus Anlass des 60. Todestages des Architekten am 15. September. Rund 150 Skizzenblätter, vier Originalmodelle und zwei Modellnachbauten umfasst die chronologisch geordnete Schau.

Mendelsohn war nicht nur frühvollendet, er hatte auch schnell großen Erfolg. Noch als Soldat im Ersten Weltkrieg skizzierte er den Einsteinturm, jenes unverwechselbare Gebilde, mit dem er sofort berühmt werden sollte. 1922 nahm das Observatorium auf dem Potsdamer Telegrafenberg seinen Betrieb auf. Das in einem Erdwall steckende Gebäude mit seiner zu öffnenden Kuppel und den kurvigen Formen ist in der Tat so unverwechselbar wie die Zeichnungen, aus denen es Mendelsohn entwickelt hat. Dabei resultiert die Form durchaus aus der Funktion. Hier sollten Messungen am Spektrum des Sonnenlichts Einsteins Relativitätstheorie experimentell beweisen. Das Licht wird durch den Turm in den Sockel gelenkt, wo es vom Erdwall schwingungsgeschützt in der Horizontalen vermessen wird. Schon die Bestimmung diese Bauwerks war Symbol für den Aufbruch in eine Epoche, doch auch Mendelsohns expressionistische Formensprache stand für eine neue Zeit. Und eigentlich waren auch Technik und Material des Turmes einem neuen Bauen verpflichtet, nämlich dem Bauen in Eisenbeton. Tatsächlich ist das Gebäude aber konventionell gemauert. Kein Statiker wollte damals die Verantwortung für einen Betonbau übernehmen. Zudem wären die komplizierten Schalungen für einen Betonbau sehr teuer gekommen.

Auch in der aktuellen Ausstellung hat der Einsteinturm seinen prominenten Platz. Man kann aber auch sehen, dass er sich in seiner Formensprache in eine Vielzahl von Ideenskizzen einordnet, die Mendelsohn vor allem in den Jahren des Ersten Weltkriegs zeichnete, manchmal auf winzigen Blättern, weil an der Front das Papier knapp war. Mendelsohns „Gesichte“ nehmen merkwürdigerweise vieles vorweg, was technisch-konstruktiv erst viel später zu bauen möglich war. Seine nur in Spannbeton mögliche Kurvenarchitektur materialisierte sich schließlich erst bei seinen Kollegen in den fünfziger Jahren – etwa bei Bauten wie der Oper von Sydney.

In der Weimarer Republik baute Mendelsohn viel, aber vergleichsweise konventionell. Doch auch hier wurden die auskragenden Rundungen sein Markenzeichen: Entweder als Ecklösung, wie beim Umbau des Berliner Mossehauses und beim Ufa-Kino, der heutigen Schaubühne am Lehniner Platz, das seinen runden Bug wie ein Dampfer Richtung Ku’damm schiebt, oder bei den vielen Warenhäusern, mit denen Mendelsohn beauftragt wurde. Seine unverwechselbare Architektur machte Mendelsohn zum Star. 1930 konnte er sich seine eigene Prachtvilla hoch über der Havel nahe der Heerstraße in Berlin bauen. Nur drei Jahre später ging er als Jude mit seiner Frau in die Emigration.

Auch die nun folgenden Lebensstationen sind in der Ausstellung nachzuvollziehen. Mendelsohn bekam auch in Palästina, in England oder schließlich in den USA prominente Aufträge. Sein Leben lang schrieb er zudem Briefe an seine Frau Luise, 5.000 Briefe, manche bis zu 32 Seiten lang. Der Nachlass dieser Briefe wurde 1975 von Mendelsohns Witwe der Kunstbibliothek übergeben. Derzeit wird der Briefwechsel zwischen den seit 1915 verheirateten Eheleuten in Kooperation mit dem Getty Research Institute (Los Angelos), das Luises Briefe besitzt, wissenschaftlich aufgearbeitet.

In der Kunstbibliothek sind jetzt auch einige der Briefe ausgestellt. In der Korrespondenz mit seiner Frau, einer Musikerin, findet sich so etwas wie das geistige Vermächtnis des Architekten Erich Mendelsohn. Bleibt zu hoffen, dass die Veröffentlichung der Briefe das Bild Mendelsohns als einer der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts bald um neue Einsichten ergänzt.

■ Kulturforum, unterer Sonderausstellungsraum, Matthäikirchplatz 10. Bis 26. Januar 2014, Di. bis Fr. 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 20 Uhr, Sa. und So. 11 bis 18 Uhr