In die Schatten blicken

NACHRUF Durch die Hintertür ins Paradies: Die Fotografin Leonore Mau, Partnerin des Schriftstellers Hubert Fichte, ist gestorben

Die Fotografin Leonore Mau, die am Sonntag im Alter von 97 Jahren in Hamburg gestorben ist, führte ein von außergewöhnlichen Distinktionskraft getragenes Leben. 1961 verließ sie ihre Kinder und ihren Mann, weil sie sich endgültig für den Schriftsteller Hubert Fichte entschieden hatte, neunzehn Jahre jünger als sie und bekennender Homosexueller. „Du machst aus mir einen großen Dichter. Und ich mache aus dir eine große Fotografin“, lautete der Pakt der beiden in Fichtes Worten.

Der Pakt hielt bis zu Fichtes frühem Tod im Alter von fünfzig Jahren 1986. Es war eine der produktivsten Künstlerpaarungen des 20. Jahrhunderts, die in jeder Beziehung das Gegenteil der normalen vampiristischen Partnerverbrauchsinstitution ist, als die Klaus Theweleit im „Buch der Könige“ die Künstlerpaarung beschrieben hat. Maus und Fichtes Lebenstrip führte sie auf 69 oft längeren Reisen unter anderem in die Karibik, nach Brasilien, Afrika und New York.

Man kann diese Reisen ruhig unter ein Motto Heinrich von Kleists stellen, nachdem man um die Welt reisen muss, um zu schauen, ob das verriegelte Paradies nicht doch eine offene Hintertür hat. Eine Hintertür, die man natürlich leichter findet, wenn man mit vier Augen in die Welt sieht als nur mit zweien. Vier Augen können es zu einer doppelten Dokumentation der Reisen bringen, solange sie es schaffen, dem Wiederholungszwang der Routine zu widerstehen. Und Mau konnte der Wiederholung trotzen, weil sie sehr früh bemerkt hat, wie indiskret das Fotografieren ist. Sie entwickelt für sich einen trocken zu nennenden Diskretionsaffekt, der ihre Bilder nie nur als Ergänzungen zu Fichtes Erfahrungen erscheinen lässt. Wenn es Fichte bei einem Treffen mit Jorge Luis Borges in der Nationalbibliothek von Buenos Aires vor Verzauberung die Sprache verschlägt und er kein Interview zustande bringt, reden Maus Borges-Porträts zwar auch nicht, aber sie bleiben auf Distanz und zerren Borges nicht ins Licht. Borges bleibt buchstäblich im Schatten.

Es gibt in Maus Xango-Portfolio ein Porträt einer Voodoo-Priesterin, in dem sich ihre Arbeitsweise verdichtet. Das Farbfoto zeigt eine ältere dunkelhäutige Frau mit einem roten Tuch auf dem Kopf, auf dem sie, in einer Schüssel liegend, einen gerade abgetrennten Ziegenkopf trägt. Das Bild ist aus der Nahdistanz aufgenommen, aber es ist eines mit Sicherheit nicht: kulinarisch. „Kulinarisch“, dieser widerwärtig-abgeschmackte Horrorbegriff des aktuellen Magazinjournalismus, benennt, warum Maus Bilder heute aus der Zeit fallen: Sie holt weder ihre Objekte noch ihre eingebildeten oder tatsächlichen Leser da ab, wo sie stehen. Es geht ihr immer zuerst um die Objekte selbst, um deren Fremdheit, die man nicht mit Unmittelbarkeitskitsch kaschieren sollte. Genau deswegen gehören ihre Fotos in die Kunst und dort werden sie auch noch leben, wenn der kulinarische Journalismus seinen verdienten Tod hinter sich hat.

CORD RIECHELMANN