Der Kanzlerkandidaten-Kandidat

Die konsternierte SPD gewöhnt sich an ihren neuen Chef. Kurt Beck verkündet selbstbewusst, kein „Übergangsvorsitzender“ der Partei zu werden. Dezent weist er darauf hin, dass auch ein anderer Pfälzer immer unterschätzt wurde: Helmut Kohl

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

Am Tag danach macht sich bei der SPD Nüchternheit breit. Der Schreck, dass der Partei mit Matthias Platzeck der dritte Vorsitzende seit 2002 abhanden kam, legt sich langsam. Man versucht die positiven Seiten des Wechsels in den Blick zu nehmen. Ein SPD-Bundestagsabgeordneter meint: „Viele in der Partei denken: Gott sei Dank, wieder ein Wessi.“

In Berlin mögen viele in Beck vor allem einen pfälzischen Regionalpolitiker sehen – für die Partei ist er einer aus ihrer Mitte mit lupenreiner, sozialdemokratischer Biografie: Hauptschule, Lehre, zweiter Bildungsweg. So ähnlich wie Schröder – aber ohne die Arroganzpose des Parvenüs. Das beruhigt die Partei, der Fraktionschef Peter Struck vorgestern noch besorgt attestiert hatte, sie sei „verstört“.

Auch Beck scheint sich ziemlich rasch mit der neuen Rolle anzufreunden. Von Interview zu Interview präsentiert er sich selbstbewusster. Direkt nach Platzecks Rückzieher klang er noch leicht betreten, so als würde er sich selbst als Notlösung ansehen. Gestern machte Beck, der am 14. Mai von einem Sonderparteitag zum SPD-Chef gewählt wird, deutlich, was er anstrebt. Er will das Amt des Parteivorsitzenden lange inne haben und kein „Übergangsvorsitzender“ sein. Zudem, so Beck zur Mainzer Allgemeinen Zeitung, habe die Öffentlichkeit schon mal einen Mainzer Ministerpräsidenten fälschlicherweise für eine „Übergangslösung“ gehalten – nämlich Helmut Kohl, der 16 Jahre Bundeskanzler war.

So hält sich Beck offenbar auch für den prädestinierten Kanzlerkandidaten der SPD. Das SPD-Präsidium hat formal festgelegt, dass gegen den SPD-Chef kein Kanzlerkandidat gekürt wird. Entschieden wird diese Frage, so Beck, erst 2009. Aber bemerkenswert ist schon, wie direkt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident seine Ansprüche reklamiert. Johannes Kahrs, forscher Sprecher des rechten Seeheimer Kreises, konterte vorsorglich, dass auch die SPD-Minister Frank Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel in Betracht kommen.

Aktuell stehen für Beck zwei Aufgaben ins Haus: die Programmdebatte der SPD und die Gesundheitsreform.

Die ungeliebte Programmdebatte ist seit 17 Jahren überfällig. Im Dezember 1989 beschloss die SPD ihr rot-grün gefärbtes Berliner Programm, das allerdings schon damals quer zum historischen Umbruch lag. Seit 1999 tagten vier Programmkommissionen – deren Arbeit litt darunter, das sich die SPD-Parteivorsitzenden die Klinke in die Hand gaben. Dass Platzeck just in dem Moment abtrat, in dem er die Grundzüge des Programms präsentieren wollte, komplettiert die Unglücksgeschichte der SPD mit ihrem Programm. Platzeck präferiert einen „neuen, vorsorgenden Sozialstaat, der weitaus stärker als das bisherige Sozialstaatsmodell in Menschen und ihre Potenziale investiert“. Chancengerechtigkeit lautet ein Motto. Platzecks Programmentwurf, den er im aktuellen Spiegel zusammengefasst hat, ist eine Mixtur aus „Fördern und Fordern“-Rhetorik und leise anklingenden skandinavischen Ideen. Das neue Programm soll im Herbst 2007 verabschiedet werden.

Was Beck mit diesem Erbe anfangen wird, ist in Umrissen zu erkennen. Er gilt als Praktiker, der mit der hochfliegenden und auch leerdrehenden Terminologie vom „neuen Sozialstaat“ nicht viel anfangen kann. Auch in der Partei erwartet kaum einer, dass er sich in der Debatte besonders profilieren wird. Beck will, so sein Mantra, auch beim Programm „Kontinuität wahren“. Das wird in diesem Fall bedeuten: die Debatte moderieren.

In der großen Koalition will Beck „für eine deutliche sozialdemokratische Handschrift bei den anstehenden Reformen eintreten“. Die erste Probe dafür wird die Gesundheitsreform. Platzeck hatte sich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und die kleine Kopfpauschale rigoros abgelehnt. Beck scheint kompromissbereiter. Derzeit ist er Everybody’s Darling, von der CSU über die FDP bis zur linken SPD. Das dürfte sich am 1. Mai ändern. Dann beraten die Koalitionsspitzen über die Ergebnisse der Expertenrunde zur Gesundheitsreform. Nur moderieren wird da, für den designierten SPD-Chef, nicht reichen.