Das Universum dehnt sich aus

Die Gitarre, sei sie rein akustisch oder elektrisch, gilt manchen Hörern als Garant für erdverbundene Authentizität. Insbesondere im Pop wird sie gern mal als Hort der „echten“ Musik im Virtuell-Synthetischen bemüht. Selbstverständlich kann man das Instrument nach wie vor auch so verwenden, dass es vertraute Töne und Klänge und damit so etwas wie die Versicherung bietet, es gebe im Universum einen Garant für ewige und unverfälschte Musik, was immer das genau sein mag.

Doch man kann die Gitarre ebenso gut zu völlig anderen Zwecken einsetzen. Der Musiker Dirk Dresselhaus alias Schneider TM etwa hat sich für sein programmatisch „Guitar Sounds“ betiteltes neues Album zum Ziel gesetzt, das Spektrum an möglichen Geräuschen, die man mit sechs Saiten jenseits der konventionellen Spielweise hervorbringen kann, erschöpfend auszuloten. Im vergangenen Jahr war er schon auf „Construction Sounds“ recht ähnlich verfahren – mit Baustellenlärm als musikalischem Arbeitsmaterial.

„Guitar Sounds“ ist eine Art kondensiertes Kompendium des Spektrums an Farbschattierungen, die – unterstützt durch eine Vielzahl von Effektgeräten – aus dieser angewandten Klangforschung resultieren. Man darf sich Dresselhaus’ Vorgehensweise allerdings nicht wie kleinschrittige Studioarbeit vorstellen, bei der frei von Spontaneität methodisch experimentiert wird. Im Gegenteil, die Stücke entstanden in Echtzeit und als freie Improvisationen, die Dresselhaus selbst als „instant composing“ bezeichnet.

Dieses Musizieren aus dem Augenblick heraus hört man den Stücken im besten Sinne an. Sofern man sich nicht an der Abwesenheit von herkömmlichen Melodien, Rhythmen, Harmonien oder Formen stört, kann man sich an diesen wild wuchernden Epen von oft orchestralen Dimensionen wunderbar erfreuen. Man meint mitunter, dem Universum in seinen Anfangsmomenten zuzuhören, während es langsam beginnt, sich auszudehnen. Hier und da erinnert dieses Universum sogar an eine gute alte Gitarre, häufiger jedoch klingt es nach roher Urgewalt: Es schwirrt, sirrt und kracht, dass man nur staunen kann.

Mit „Guitar Sounds“ hat Schneider TM die Gitarre zwar nicht neu erfunden, aber – wie andere vor ihm – überzeugend dargelegt, dass auch vermeintlicher Lärm seine eigene Poesie hat. Und überaus unterhaltsam sein kann. Man muss bloß die Bereitschaft mitbringen, seine Ohren offen zu halten, komme, was kommen mag.

TIM CASPAR BOEHME

■ Schneider TM: „Guitar Sounds“ (Bureau B/Indigo)