Die Notbremse ziehen

KOLONIALISMUS Mit dem Stück „Black Bismarck“ möchte das Theaterkollektiv andcompany&Co – vom ehemaligen Reichskanzler ausgehend – das weiße Bewusstsein und historische Verniedlichungen aufarbeiten

Auf Einladung Otto von Bismarcks fand 1884/85 im Berliner Reichskanzlerpalais die sogenannte Kongokonferenz statt, bei der sich die Mächte des alten Europa, das Osmanische Reich und die Vereinigten Staaten versammelten, um willkürlich Grenzen durch den afrikanischen Kontinent zu ziehen, die größtenteils bis heute bestehen. Zugleich begann die dreißigjährige deutsche Kolonialherrschaft in den Gebieten des heutigen Togo, Kamerun, Namibia, Tansania, Burundi und Ruanda und damit die dortige Ausplünderung der Bevölkerungen, Zwangsarbeit und Krieg. Das Berliner Kollektiv andcompany&Co., gegründet von Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma, lokalisiert mit „Black Bismarck“ die Geschichte im heutigen Berlin und begibt sich auf die Suche nach den Geistern des deutschen Kolonialismus.

■ Black Bismarck: HAU 2, Hallesches Ufer 32, 27./28./30. 9. 20 Uhr; 29. 9. 17 Uhr, 7,70–16,50 €

VON ASTRID KAMINSKI

Ein Parteivorsitzender, mit dem man an Wahltagen über Theater reden kann, das ist, ohne aus Erfahrungsmangel vorschnelle Schlüsse ziehen zu wollen, wahrscheinlich doch eher selten. Mit Alexander Karschnia geht das. „Ehrlich gesagt, ist Schlingensief schon ein bisschen schuld daran, dass ich immer noch eine Partei an der Backe habe“, sagt er halb ernst, halb grimmig, halb ergeben. Es muss zumindest eine gute Zeit gewesen sein, als er mit Schlingensief und „Chance 2000“, der Partei für Scheitern, 1998 in den Bundeswahlkampf zog. Wer an akuter Politikverdrossenheit leidet, sollte sich von Karschnias und Nicola Nords Memoiren auf Wordpress unbedingt ein wenig aufheitern lassen. So viel zum Exkurs, jetzt zum echten Theater.

Am Tag, als bei der Theaterhotline nachtkritik.de die ersten Berichte zur Blackfacing-Debatte losgingen, hatte das internationale Kollektiv andcompany&Co, dessen Mitbegründer Karschnia ist, seinen Förderantrag für das neue Stück „Black Bismarck“ eingereicht. Pünktlicher geht es nicht mit dem Angebot zum Bedarf. Denn die Projektidee sah vor, das nachzuholen, wofür die Malkasten-Theatermacher bislang noch keine Zeit hatten: Die weißen Flecken im „weißen“ Bewusstsein sollen erkundet werden, Ausgangspunkt Bismarck.

174 von 240 weltweiten Bismarcktürmen bestehen heute noch. An Ehrentagen werden mancherorts in deutscher Vereinsarbeit die „Feuersäulen“ gezündet. Und das für einen ehemaligen Reichskanzler, der nicht nur gewaltsam den einheitlichen Nationalstaat herstellte, sondern auch für einen Machtpolitiker, der für die Berlin-Konferenz von 1884/85 verantwortlich zeichnet, auf der Afrika wie eine Torte unter den Kolonialmächten aufgeteilt wurde? Hier? Heute?

Und es geht noch weiter. Alexander Karschnia hat viel über die historische „Verniedlichung“ des deutschen Kolonialismus zu sagen: „Das war doch nur ganz kurz und doch auch nicht so schlimm? Was war denn in Namibia? Das war der erste Genozid des 20. Jahrhunderts, die ersten Konzentrationslager. Die ersten Schädelvermesser, die dann steile Karrieren bei den Nazis machten, haben in Namibia angefangen …“ Eine halbe Stunde später landet der politische Theatermann dann bei Friedrich Ebert: „Sogar der beklagte sich noch, dass ausgerechnet ein Kulturvolk wie die Deutschen auf Kolonien verzichten müsse, das wäre doch unverschämt.“

„Was war denn in Namibia? Das war der erste Genozid des 20. Jahrhunderts“

ALEXANDER KARSCHNIA, REGISSEUR UND PARTEIVORSITZENDER

Wieder eine halbe Stunde später zählt er die wechselnden Namen der U-Bahn-Haltestelle aus, an der man als Berlin-Konferenz-Teilnehmer heute aussteigen würde: „Kaiserhof (nach Hitlers Lieblingshotel), Ernst-Thälmann-Straße, Otto-Grotewohl-Straße, Möhrenstraße.“ Die ö-Pünktchen unterscheiden dabei Karschnias Sprachgebrauch vom allgemein üblichen.

Aber warum eigentlich „Black Bismarck“? Das hat, wie er ausführt, mit W. E. B. Du Bois zu tun, dem US-amerikanischen Bürgerrechtler und „Vater des Panafrikanismus“, dessen Buch „Die Seelen der Schwarzen“ neben Martin Luther King in den USA zum Highschool-Stoff gehört: „Außerdem ein Neigungspreuße. Als 20-Jähriger hatte Du Bois schon eine Rede über Bismarck verfasst, in der er sein Interesse am Einigungsgedanken, aber auch seine Kritik an den Methoden anbrachte. „Von 1892 bis 1894 studierte er dann hier in Berlin, an einer der damals modernsten Universitäten, mit elektrischem Licht und Klospülung … Spannend an Du Bois ist aber auch, wie er in seinen Memoiren später seine eigene kulturelle Prägung beschreibt: Er benutzt ein Eisenbahnbild. Er sitzt im Zug des Fortschritts, und das einzige, was ihn daran stört, ist, dass es ‚schwarze‘ und ‚weiße‘ Abteile gibt, aber über die Richtung macht er sich erst einmal keine Gedanken. Bis er die Notbremse zieht.“

Wie viel Potenzial zu einem „Decolonizing of the mind“ in einer Bismarckaufarbeitung steckt, ist eine verdiente Ohrfeige an gesellschaftliches Bewusstsein. Aber nicht für alles (Miese), was existiert, ist wiederum im Bewusstsein Platz. Es ist auch eine Selbstbegegnungskunst, die Suche nach der eigenen rassistischen Kontaminierung nicht nur als gallige Selbstdenunziation zu betreiben. Das gilt auch für „Black Bismarck“. Denn das viersprachige Ensemble mit Dela Dabulamanzi, Simone Dede Ayivi, Nicola Nord, Gorges Ocloo, Joachim Robbrecht und Sascha Sulimma begibt sich nicht nur pickelhaubig auf die Exkursion zu deutschen Kolonialfantasien, sondern auch in den Dialog untereinander. Mindestens eine Gemeinsamkeit stellt sich bei allen Unterschieden im Team dabei doch heraus: Aus welcher Perspektive man sich dem eigenen Horizont auch nähert: Je weiter er ist, desto mehr Humor kann man für das Bildungsprodukt, das man selber ist, aufbringen.