UNTERM STRICH

„Die Leitung des Straflagers weigert sich, mich zu hören“, erklärt Pussy-Riot-Sängerin Nadeschda Tolokonnikowa in einem offenen Brief, dessen gekürzte Übersetzung gestern in der Welt erschien. Seit Montag ist Tolokonnikowa im Hungerstreik, den sie als einzig möglichen Ausweg sehe. Ihre zweijährige Haftstrafe muss sie noch bis zum Frühjahr 2014 absitzen. In dem Brief schildert Tolokonnikowa das „Sklavenleben“ in ihrem Straflager: Während im Arbeitsrecht ein Achtstundentag für Häftlinge vorgesehen sei, arbeite ihre Brigade in der Nähwerkstatt 16 bis 17 Stunden am Tag, von 7.30 bis 0.30 Uhr. Zum Schlafen blieben den Näherinnen kaum vier Stunden. „Arbeitsrecht hin oder her, aber das Wichtigste ist, Produktionsnormen zu erfüllen“, habe ihr der Leiter des Straflagers IK-14 dazu gesagt. „Die Häftlinge müssen Anträge schreiben, dass sie freiwillig am Wochenende arbeiten wollen. In Wirklichkeit ist es natürlich nicht freiwillig“, berichtet Tolokonikowa. Dies geschehe auf Drängen der Administration. Sie erzählt von einer Frau, die an einem Sonntag nur bis 20 Uhr arbeiten wollte: „Daraufhin wurde eine Versammlung der Brigade einberufen, die Frau wurde gerügt und erniedrigt.“ Essverbote und Schläge, auch bei den Häftlingen untereinander, seien übliche Strafen. Vor einem Jahr sei eine Frau zu Tode geprügelt worden. Tolokonnikowa habe für ihre Arbeit im Juli 29 Rubel bekommen (ca. 67 Cent): „Dabei näht eine Brigade 150 Polizeiuniformen am Tag. Wohin geht das Geld, das für sie gezahlt wird?“ Außerdem beschreibt sie die schlechten Sanitätsbedingungen im Lager: Alle 800 Frauen müssen ein gemeinsames Bad benutzen, das nur für fünf Personen vorgesehen sei. Wenn die Kanalisation verstopft ist, was laut Tolokonnikowa oft vorkommt, strömen aus den Hygieneräumen Urin und Exkremente. Zu essen bekämen die Häftlinge nur trockenes Brot, verdünnte Milch und faule Kartoffeln. Die Administration nutze die Erschöpfung der Häftlinge aus, um sie stillzuhalten. Nur über Anwälte und Verwandten habe die Pussy-Riot-Sängerin eine Möglichkeit zu klagen, auch wenn die Leitung den Häftlingen offen signalisiere: „Niemandem wird es nach seinen Klagen besser gehen, Sie machen alles nur schlimmer.“