Heute kein „La Paloma“

STRASSENMUSIK Ein Amerikaner in Bremen hat Musiker zusammengetrommelt, um mit ihnen ein Konzert zu veranstalten. Ihre Lieder kommen aus der Türkei, Ungarn und Bulgarien. Gassenhauer will keiner spielen

Schwarz schlägt als Zugabe „Besame Mucho“ vor. „Oh nein“, stöhnen die Musiker

Am Tag nach der zweiten Probe mit den „Gassenvirtuosen“ ist Willy Schwarz, ein Amerikaner in Bremen, erschöpft. „Das war anstrengend, besonders das Trommeln. Das sind echte Perfektionisten.“ Jeder Tanz hat seinen Rhythmus. Und das sind ganz andere Rhythmen als die der westeuropäischen Musik und die sind schwer für Schwarz, auch wenn er sich mit Musik aus dem Balkan beschäftigt. „Diese ungeraden Takte kommen aus der türkischen Musik“, erklärt Schwarz. Da erntet Schwarz schon einmal hochgezogene Augenbrauen wenn er auch nur ein bisschen danebenliegt. Klar: Tanzmusik muss grooven.

Die Musiker, die Schwarz versammelt hat, sind Profis. Sie leben von der Musik, wenn auch nicht gut. Früher, als es dort, wo sie herkommen, noch Sozialismus gab, hatten sie Arbeit. Heute müssen sie sich und ihre Familien mit Straßenmusik ernähren. Ihre Instrumente zeugen davon: Victor Dumitraches Akkordeon hält nur noch dank Gaffer-Tape, die Geige von Nelu Dorcea hat Löcher, wo keine sein sollten. Marin Rambu hat in Chisinau fünf Jahre studiert, Panflöte und Klavier. „Für nichts“, sagt er heute.

„Mir war es immer ein Rätsel, warum diese Musiker so gelangweilt ‚Besame Mucho‘ und ‚La Paloma‘ spielen, egal ob in Bremen, in Paris, London oder Rom“, sagt Schwarz. Dahinter gekommen, ist er bis heute nicht, denn die Verständigung ist kompliziert: Die Musiker sprechen Russisch, aber nur wenig Deutsch, kaum Englisch, Schwarz spricht kein Russisch. Noch nach der zweiten Probe wissen nicht alle, wo am Samstag das Konzert stattfindet. Was hätten sie auch mit der Arbeitnehmerkammer zu tun? Dass sie dort auftreten, ist Peter Schenk von der Arbeitnehmerkammer Bremen zu verdanken, der mit Schwarz schon mehrere Projekte durchgeführt hat und sofort begeistert war.

„Als ich vor zehn Jahren nach Bremen kam, habe ich diese Musiker auf der Straße gehört und wollte sofort wissen, woher sie kommen“, erinnert sich Schwarz. „Wenn sie aus Bulgarien kamen, habe ich mir bulgarische Musik von ihnen gewünscht. Ich kenne diese Lieder zum Teil seit 30 Jahren.“ Als er sie einlud, ihre eigene Musik zu spielen, seien sie verwirrt gewesen. Kein „Besame mucho“? Aber es funktioniert: „Gestern Abend war eine Erleuchtung“, schwärmt Schwarz. „Es ist faszinierend, was wir hier auf der Straße haben – aber nicht hören... .“

Das ist dann statt kitschiger Gassenhauer seelenvolle Musik, virtuos, glutvoll. Die Musiker schöpfen aus einem großen Repertoire, die Lieder kommen aus der Türkei, Ungarn, Makedonien, Bulgarien. Was könnte die Zugabe sein? Schwarz schlägt zum Scherz „Besame Mucho“ vor – „Oh nein“, stöhnen die Musiker. Stattdessen beginnt Shenel Torün einen quecksilbrigen Klarinettenlauf und nach und nach steigen die anderen ein, schauen sich an, blitzende Blicke und Goldzähne, ein prüfender Blick auf Schwarz‘ trommelnde Hände, ein halsbrecherischer Break, und Shenel freut sich diebisch, wie Schwarz sich mühen muss, um mitzukommen. Nach zwei Stunden sagt Schwarz: „Wir haben alles.“ Aber die Virtuosen spielen weiter, angesteckt von der Musik, die sie mit Leidenschaft lieben. „Unvorstellbar, dass das die gleichen Leute sind, die jeden Tag vor Karstadt ‚La Paloma‘ spielen. Und dabei haben die noch nicht mal was getrunken“, sagt Schwarz. Jetzt müssen am Samstag nur noch alle pünktlich zur Arbeitnehmerkammer finden. ANDREAS SCHNELL

„Gassenvirtuosen – A secret world of the street musician“: 24. April, 20 Uhr, Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen, Eintritt frei