Cowboys auf der Heide

„Einige doofe Schafe sind vielleicht darunter, das ist aber wie bei den Menschen auch“

AUS HÖVELHOF GESA SCHÖLGENS

Ein roter Blitz huscht über die kahle Weide. Aufgeregt beginnen die Heidschnucken zu blöken. Der Fuchs hält kurz inne, mustert den Schäfer, macht dann schnell kehrt und verschwindet in der Ferne hinter den Kiefern. „Der hat wohl Angst vor uns“, brummt Schäfer Markus Laabs. Der 44-Jährige lässt seinen Hütehund „Chica“ von der Leine. Kläffend treibt Chica die Schnucken dichter zusammen. „Meine Hunde arbeiten gerne, aber wenn nichts zu tun ist, bleiben sie angeleint und langweilen sich“, sagt Laabs. Dann schweigt er. Sein Blick schweift in die Ferne. Er beobachtet die hundert Meter entfernt weidenden Heidschnucken, weiße und schwarze Flecken auf braun-grünem Gras.

Das bärtige Gesicht des Schäfers ist wettergegerbt. Er trägt einen Schlapphut, einen Rucksack mit Verpflegung und den hölzernen Hirtenstock, auf den er sich stützt oder mit dem er den Hunden Zeichen gibt. Hinsetzen ist für ihn nicht drin. Zehn Stunden täglich hütet Laabs die Heidschnucken auf dem Truppenübungsgelände der britischen Streitkräfte in Hövelhof im Paderborner Land, nur nachts kommen sie in einen Pferch. Der gelernte Schlosser, Imker und Schäfermeister arbeitet im Wechsel mit seiner Lebensgefährtin Renate Regier und einem Lehrling. „Der letzte Winter war schon ganz schön hart. Aber man gewöhnt sich an die Kälte“, sagt Laabs, und reibt sich die klammen Hände.

In der Heidelandschaft Senne grasen das ganze Jahr über etwa 1.000 Schafe und 30 Ziegen. Die Heidschnucken knabbern die Triebe der Heide ab, die Zicklein kommen auch an Äste heran, die weiter oben wachsen. Durch den Verbiss wird das Wachstum der Pflanze angeregt. „Sie wird vitalisiert“, erklärt Renate Regier. Ihre Schäfchen sind also vierbeinige Landschaftsgärtner. Sie sorgen auch dafür, dass sich der Kiefernwald nicht weiter ausbreitet und das Heidekraut verdrängt. Vorher war die Heide weitgehend sich selbst überlassen. Bedroht waren auch die dort lebenden Arten, vom Ziegenmelker bis zum Bauernsenf.

Regier arbeitet seit 15 Jahren in der 1987 aufgebauten Heidschnuckenschäferei und hat die Herde nach und nach vergrößert. „Als Diplom-Biologin muss man eben eine Nische finden“, begründet die 48-Jährige ihre ungewöhnliche Berufswahl. Sie hatte schon immer ein Faible für Schafe – und für Naturschutz. Mit ihren krausen blonden Locken und dem dicken Wollpullover sieht die zierliche Frau so aus wie eine Schäferin aus dem Bilderbuch.

Ganze Tage verbringen die Schäfer auf den abgelegenen Weideplätzen, die für Normalbürger gesperrt sind und von den Militärs überwacht werden. Einsam sei es nicht. „Ich habe ja meine Hunde“, meint Laabs trocken. Außerdem gebe es immer was zu tun, „denn ich darf nicht den Überblick über die Herde verlieren.“ Sonst kommt es schnell vor, dass ein Schäfchen zurückbleibt, wenn der Rest weiterzieht. Gerade im März, wenn die Mutterschafe ihre Lämmchen zur Welt bringen. Nach einer Geburt ruft Laabs seine Lebensgefährtin mit dem Handy an, damit sie das Neugeborene und seine Mutter abholt und in den Stall bringt.

Der große Stall der Schäferei ist bereits voll besetzt mit jungen, schwarzgelockten Lämmern. Aus den Einstellboxen riecht es nach Heu und Wolle. Wild turnen die Lämmchen auf ihren Müttern herum oder veranstalten kleine Wettrennen in der Box. Manche kuscheln sich auch nur ins Fell der Mama oder trinken gierig am Euter. Babyschnucken kommen erst auf die Weide, wenn sie zwei Wochen alt und robust genug sind. „Eine Mutter erkennt ihr Kind unter 1.000 anderen Tieren wieder“, sagt Regier.

Bis auf die Zuchtböcke werden die männlichen Tiere nach einem Jahr geschlachtet, „bei einem Nachbarn, ganz stressfrei für die Schafe und ohne Geklapper und Blutgeruch.“ Das dunkle, wildbretartige Fleisch verkauft Renate Regier auf Bauernmärkten. Die regionale Vermarktung sei jedoch schwierig, obgleich das Fleisch eine fettarme und günstige Delikatesse sei. „Viele haben Vorbehalte gegen Lammfleisch.“ Türkische Abnehmer gebe es keine, sie seien skeptisch wegen der Hörner. „Gehörnte Schafe kennen sie nicht.“

Verkauft werden die Produkte wie Brat- oder Leberwurst und die dicken, gegerbten Felle auch an die zahlreichen Hofbesucher. Fast täglich hat die Schäferei Besuch, es kommen viele Schulklassen, an Ostern sogar mehrere pro Tag. „Für die Kinder ist das wirklich wichtig. Sie kriegen doch kaum noch Tiere zu sehen. Bei uns können sie auch ein Lamm auf den Arm nehmen oder Heidschnucken-Pate werden“, sagt die Schäferin. Außerdem ist die Schäferei seit sechs Jahren Bioland-Betrieb, das Kraftfutter für die Mutterschafe kommt aus biologischem Anbau.

Bevor die Schnucken morgens auf den Truppenübungsplatz dürfen, müssen ihre Hirten mit den Briten telefonieren und ihre genaue Position durchgeben. „Die tragen unsere Herde dann auf ihre Landkarte ein“, erklärt Regier und schmunzelt. Wenn ein Schaf abhaut, kommt sofort ein Ranger angefahren und bringt es zurück. Auf der Weide hört man manchmal Schüsse, wenn die Soldaten mit scharfer Munition üben. Diese Gefahrengebiete sind für die Herde tabu. Heute bleibt auf dem Weideplatz aber alles ruhig.

Einige Heidschnucken haben es sich auf einer hölzernen Zielvorrichtung bequem gemacht und schlafen in der Sonne. „Schafe kennen die Wege und Pferchplätze genau. Sie sind gar nicht so dumm, wie die meisten denken. Das mag albern klingen, stimmt aber“, philosophiert Laabs. Er erzählt die Geschichte von einem schlauen Bock, der aus der Schlachterei in Hövelhof flüchtete und mehrere Kilometer später ganz allein zur Herde zurück fand. „Einige doofe Schafe sind vielleicht darunter, das ist aber wie bei den Menschen auch.“

Natürliche Feinde haben die Heidschnucken keine. „Wölfe gibt es nicht mehr, Wildschweine kommen vor, aber die tun nichts“, sagt Regier. Probleme machten nur wildernde Hunde. „Einmal hat ein Pitbull ein Schaf in die Kehle gebissen. Das war widerlich. Wir konnten nur noch notschlachten.“ Regier verzieht das Gesicht. Ihre Hütehunde sorgen nur dafür, dass die Herde zusammenbleibt und keines über die Wild-Äcker im Weidegebiet trampelt. „Es sind keine Hirtenhunde, die mit den Schafen aufwachsen und aufpassen, dass kein Tier geklaut wird.“

Das Schäferpaar liebt die Stille in der Heide. „Hier gewinnt man Abstand vom Alltagsstress“, sagt Regier. „Auf dem Hof will immer jemand was von mir, ständig klingelt das Telefon.“ Die Heidschnucken melden sich höchstens, wenn es kein Gras zum Knabbern mehr gibt. So wie jetzt. Auf dem Truppenübungsplatz beginnen die Schafe zu blöken. Am Himmel ziehen Regenwolken auf. „Wir müssen jetzt weiterziehen. Das habe ich im Gefühl. Die Schafe sagen, wann es Zeit ist“, sagt Markus Laabs.

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