hamburger szene
: Taubenfrei und blendend weiß

Der Lessingtunnel sei ein überschätzter Ort, sagen manche in unserer Redaktion. Nur weil er vor unserer Haustür liege, müssten wir nicht ständig über ihn berichten. Andere Kollegen lieben das Altonaer Nadelöhr, weil es „einer der letzten Hamburger Unorte“ sei und damit quasi denkmalschutzwürdig. Oder weil es der einzige Ort in Hamburg sei, der an New York erinnere.

Ich denke seit ein paar Wochen, immer wenn ich durch die Bahnunterführung gehe: Irgendwann werde ich mir hier die Vogelgrippe holen. Schließlich kann die Luft an keinem anderen Ort auf der Welt derart mit Taubenscheiße geschwängert sein.

Bald soll mit all dem Schluss sein, mit Unort, mit New York und auch mit Vogelgrippe respektive Taubenscheiße. Die Tauben, die nämlich keine solchen sind, werden schon vom Lärm der Maschinen verjagt. In ihrer Abwesenheit sägt man ihnen die Rohre weg, auf denen sie zu sitzen pflegen. Und gleichzeitig beackern Männer mit gewichtigen Mienen die graffitiverzierten Wände mit einem beleuchteten Kasten. Keine Laserwaffe, eher eine Tranfunzel. Auf Nachfragen entpuppt sich das Gerät als Sandstrahler. Zurück lässt er grellweiße Flecken, die Löcher in die Patina des Gelbklinkers reißen.

Wie lange alles so bleibt, taubenfrei und blendend weiß? Lieber keine Prognose wagen. Denn wie sagte einst Namensgeber Gotthold Ephraim Lessing: „Beide schaden sich selbst: der zuviel verspricht und der zuviel erwartet.“ Jan Kahlcke