JOSEF WINKLER ÜBER WortklaubereiES IST NICHT ALLES ABSURD, WAS MAN SELBST DAFÜR HÄLT
: Vulkanwut und Robbenvertreter

Ich möchte diese Kolumne mit einem zugegebenermaßen grellen Bild beginnen, das Derbheit auf perverse Weise mit Niedlichkeit verknüpft und daraus, wie ich finde, komisches Potenzial bezieht. Hier kommt’s: „Ich betrete das WC von Wagen 32 des ICE München–Berlin, in der Kloschüssel aus Edelstahl klebt eine Kackwurst von der Größe eines Robbenbabys.“ Ja, ich weiß, das ist fies. Ich stehe aber aus zweierlei Gründen zu dem Bild.

Zum einen hege ich dieser Tage eine wiedererwachte, kindlich zu nennende Begeisterung für das unwahrscheinlich witzige Wort „Robbe“. Robbe. Robbe. Seerobbe. Die robbende Seerobbe! Nein? Ich muss bereits schmunzeln, wenn es heißt, ein gewisser Reinhold Robbe beklage Missstände bei der Bundeswehr, und kann mich die vollen 98 Minuten eines Champions-League-Spiels erfreuen an Reporterausrufen wie „Robben am Strafraum!“ und „Altintop ist ein guter Robbenvertreter!“

Zum anderen schildert das Bild nur unwesentlich überspitzt die grimme Situation, wie sie sich am Wochenende in überfüllten Fernzügen mitunter darstellte. Das Spülwasser war eben aus – und wer ist schuld? Der Vulkan. Die Sachlage im WC von Wagen 32 war nur einer der banaleren Auswüchse des von einem „Asche-Monster“ heraufbeschworenen „Vulkan-Chaos“, das nach anfänglichem „Vulkan-Alarm“ Europa überzieht und aus dem nun „Vulkan-Wut“ emporsteigt, weil die Leute endlich, endlich! wieder fliegen wollen.

Wie finden Sie die Wortkombinationen des Boulevards mit „-Wut“, „-Chaos“ und „-Alarm“? Bizarr? Crazy? Gar absurd? Bitte seien sie zärtlich zu dem Wörtchen „absurd“, das in letzter Zeit immer schludriger missbraucht wird. Etwa letztens als Schlüsselwort des ersten Statements von Dr. Dirk Voß, Sprecher des Bistums Augsburg, in Verteidigung von Bischof Walter Mixa gegen Misshandlungsvorwürfe, die „samt und sonders absurd“ seien: „Der Bischof (…) hat niemals in seiner ganzen Laufbahn, langen Laufbahn innerhalb der Kirche körperliche Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche oder überhaupt körperliche Gewalt angewendet.“

Spätestens diese Aussage hätte Zweifel an der Seriosität der Augsburger Bistumsmischpoke aufkommen lassen müssen, hegte man diese nicht eh längst. „Absurd“ heißt „widersinnig“, „dem gesunden Menschenverstand widersprechend“ und ist das Gegenteil von „plausibel“: „einleuchtend“, „sinnfällig“, „nachvollziehbar“. Plausibel aber klingt das doch, dass ein Typ wie Walter Mixa, von dem man anhand seiner öffentlichen Wortmeldungen durchaus das Bild eines aggressiven Wüstlings und Herrenmenschen mit mangelnder Selbstkontrolle gewinnen konnte, unbotsame Blagen verdrischt. Absurd klänge etwa die Behauptung, Walter Mixa habe in den 70ern mehrere Sommer in einer Nudisten-Hippiekolonie verlebt. Allemal überzeugender wäre es daher doch gewesen, wenn das Bistum Augsburg verlautbart hätte: „Ja, uns ist schon klar, wie man drauf kommen könnte, aber ehrlich: Bischof Mixa hat niemals in seiner ganzen Laufbahn, langen Laufbahn innerhalb der Kirche körperliche Gewalt etc.“ Dann wär’s zwar immer noch gelogen gewesen, aber – Moment: Vielleicht ist der Kern des Statements ja ohnehin die Wendung „innerhalb der Kirche“, und uns wird demnächst noch auseinandergesetzt, dass Dirk Voß sich natürlich nicht auf Gewaltanwendung außerhalb der heiligen Hallen einer Kirche bezogen hat. Ich spüre Bischofs-Wut in mir hochsteigen.

PS: Ein guter Robbenvertreter vertickt dir in einer guten Woche 40 Stück und mehr.