Man strafte mich wie Prometheus für meine Sünden

GÄBE ES EINE ANLAUFSTELLE FÜR JOURNALISTEN IM EXIL, DIE UNS HILFT, BÜROKRATISCHE HÜRDEN ZU ÜBERWINDEN, WÜRDE DAS UNSER LEBEN ERLEICHTERN

VON MEERA JAMAL (PAKISTAN)

Als ich in Deutschland ankam, hatte ich zunächst das Gefühl, wieder atmen zu können: Ich war frei von Unterdrückung und ungeheuerlichen religiösen Zumutungen. Andererseits wurde ich im Exil mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert.

Als ich 2009 meine Familie und meine Karriere hinter mir ließ, tat ich dies in der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Leben in einem Umfeld, in dem man meine Arbeit und mein Engagement für Menschen zu schätzen wisse. Nun, ich habe mich geirrt – zumindest zum Teil. Natürlich war es meine eigene Entscheidung, aber so naiv es klingen mag, ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich als beruflich ausgewiesene Journalistin, die fließend Englisch spricht und schreibt, irgendwo auf der Welt einmal unter derartigen Bedingungen leben müsste.

Die harte Wirklichkeit schlug über mich herein, als ich zuerst in Gießen in einem Flüchtlingsheim leben musste. Ich kam mir vor, als würde man mich wie Prometheus für meine Sünden bestrafen. Keine Bücher, keine Zeitung, kein Internet, das abscheulichste Essen, keine Familie. Eine solche Erfahrung will ich nicht noch einmal durchmachen, nie wieder. Nach zwei Monaten in diesem Land, in denen ich praktisch mit niemandem sprechen konnte, spürte ich, wie ich immer stärker unter dem Trauma litt, das die feindselige Umgebung in der Heimat und die Trennung von Land und Familie bei mir hervorgerufen hatte. Ohne psychologische Beratung durchlebte ich diese dunkelste Phase meines Lebens. Immerhin jedoch wurde mein Antrag auf Asyl, zur Überraschung vieler und dank der unermüdlichen Unterstützung durch Reporter ohne Grenzen und „Journalisten helfen Journalisten“ nach einigen Monaten bewilligt.

Es ist kein Geheimnis, wie wenig Geld die Jobcenter an Asylbewerber zahlen. Es reicht gerade zum Überleben. Und das bedeutet, dass man so gut wie nie aus dem Haus gehen oder auswärts essen kann, was die Depressionen, die ein Leben im Exil auslösen, noch verstärkt.

Am schlimmsten aber war die Behandlung, die ich im Jobcenter und bei der Ausländerbehörde erlebte. Wie sehr ich mich auch bemühte, jedes Mal wurde ich von den Beschäftigten schlecht behandelt. Es gibt bei ihnen womöglich ein psychisches Syndrom, das sie als göttliche Wesen daran hindert, für Menschen ein Minimum an Verständnis aufzubringen. Weder helfen sie einem, einen Job zu finden, noch haben sie gelernt, freundlich zu sein.

Die Formalitäten sind schlicht nicht zu bewältigen

Jedes Mal geben sie mir zu verstehen, dass ich ein nutzloses Wesen bin, das aus eigenem Verschulden oder aus Faulheit zu Hause herumsitzt. In beiden Behörden sind die Formalitäten schlicht nicht zu bewältigen; einiges habe ich bis zum heutigen Tag nicht verstanden. Überdies musste ich immer wieder um das wenige Geld kämpfen, einmal, weil ich eigenständig versucht hatte, Arbeit zu finden, und ein andermal, als ich mir von einem Sachbearbeiter die lächerliche Ausrede anhören musste, er erhalte so viel Post, dass er „vergessen“ habe, die Unterlagen zu prüfen, die wir termingerecht eingereicht hatten. Bei der Ausländerbehörde war es nicht besser. Ich musste erst meinen Anwalt und Reporter ohne Grenzen einschalten, um eine Verlängerung meines Visums zu bekommen, die pünktlich und problemlos hätte erfolgen müssen. Stattdessen gab man mir einen Termin, der zehn Tage nach Ablauf meines Visums lag. Als sich mein Anwalt mit ihnen in Verbindung setzte, erhielt ich zwar mein Visum, aber meine Akte ging ein paar Monate „verloren“, wodurch sich das Prozedere um weitere Monate verzögerte.

Ich glaube, es wäre sinnvoll, für im Exil lebende Journalisten eine Art Netzwerk einzurichten, das sie unterstützen kann. Es gibt unzählige Dinge, die wir nicht verstehen und bei denen wir Unterstützung bräuchten. Gäbe es eine Anlaufstelle, die uns hilft, die bürokratischen Hürden zu überwinden, würde es uns das Leben etwas erleichtern. Außerdem sind Menschen, die in Medien gearbeitet haben, sämtlich hochqualifiziert. Mit einer Einrichtung, die es ihnen ermöglichte, ihre professionellen und sprachlichen Fähigkeiten zu nutzen, würden sie der Gesellschaft weniger zur Last fallen und sie könnten sich Respekt und einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen.

Im Rückblick habe ich manchmal das Gefühl, besiegt worden zu sein, und dass die Menschen, die mich bedrohten, gewonnen haben. Als ich floh, um zu überleben, gab ich unwillentlich die Leidenschaft meines Lebens auf, die journalistische Feldarbeit. Hätte ich das gewusst, wäre ich wahrscheinlich lieber beim Einsatz für eine Herzensangelegenheit gestorben, als im Exil zu überleben, aber nichts für die Verwirklichung meiner Träume tun zu können.

■ Meera Jamal, geboren 1982, arbeitete ab 2003 in der Redaktion von Dawn, einer der ältesten und meistgelesenen englischsprachigen Zeitungen Pakistans. In Karatschi beteiligte sie sich an Medienkampagnen für Menschenrechte. 2008 kürte sie das US State Department zu einer der weiblichen Top-Ten-Journalistinnen Pakistans. 2011 gewann sie den Filippas-Engel-Preis für ihre Arbeit in Pakistan. Aufgrund von Drohungen musste sie ihre Heimat verlassen und lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Sie arbeitet als Redakteurin für die AG „Journalisten im Exil“.

Übersetzung: Ruth Keen